Eben noch gefeiert als Rettung aller Werbeabteilungen, scheint das Influencer-Marketing bereits am Ende zu sein. Peinliche Instagram-Kampagnen, Fake-Follower und Schleichwerbung stellen das Image der ach so authentischen Markenbotschafter im Social-Media-Universum in Frage. Doch was sind die Gründe für das viel diskutierte Glaubwürdigkeitsproblem? Wir analysieren die tiefer liegenden Mechanismen hinter dem Erfolg und erklären, warum verspieltes Vertrauen für alle Beteiligten zum entscheidenden Problem wird.
Aus Buzz wird Buh
Sie waren die Hoffnungsträger der digitalen Marketingwelt, die dort für Umsätze sorgen sollten, wo klassische Werbung weggeklickt oder gleich geblockt wird. Mit ihnen wollten zuletzt immer mehr Unternehmen zusammenarbeiten, denn mit ihren vielen Fans und Followern, die ihren Empfehlungen folgen, ihre Styles kopieren oder sich durch ihre Rezepte und Reisen inspirieren lassen, gelten sie als wertvolle Multiplikatoren: Influencer, die Meinungsmacher des Social Web.
Doch dem Trend folgte die Trendwende: Seit einiger Zeit wird die Kritik unüberhörbar laut. Kritik an jenen, die sich mit Marketingbudgets Authentizität erkaufen wollen. Und an jenen, die ihren Fans Werbebotschaften als eigene Meinung verkaufen oder sich Follower und Likes einkaufen. Aber auch an jenen, die ihnen das alles abkaufen. Einen Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung kürzlich, als sich Unilever vornahm, sein Waschmittel Coral mit einer großangelegten Kampagne bekannter und beliebter zu machen. Zu diesem Zweck wurden etliche reichweitenstarke Influencer überzeugt, sich mit einer Flasche Waschmittel abzulichten. Das Netz aber machte sich lustig über die teils skurrilen, teils lächerlichen und meist unglaubwürdigen Posen.
Komikerin Caroline Kebekus nimmt in ihrer Show Pussy Terror die Influencer der Coral-Kampagne aufs Korn.
Manch einer schämte sich fremd, das Blog Leitmedium verurteilte die Aktion als “die peinlichste Instagram-Kampagne des Jahres” und auf ze.tt konstatierte man gar, Werbung und Influencer würden sich auf diese Weise gegenseitig zerstören.
Neben Kritik, Unverständnis und Belustigung machen sich aber auch Verunsicherung und Fatalismus breit. Von Angst und Schrecken in der Branche ist die Rede, kaputt sei das Influencer-Marketing oder vielleicht schon tot. Lohnt es sich also überhaupt noch, auf Blogger-Relations und Insta-Produktplatzierungen zu setzen? Laufen Unternehmen und Influencer vielleicht sogar Gefahr, ihrem Image zu schaden? Ist die Zeit des Influencer-Marketings so schnell vorbei, wie sie begonnen hatte?
Antworten auf diese Fragen finden wir nur, wenn wir besser verstehen, was Blogger, YouTuber und Instagramer so einflussreich und zu derart reizvollen Werbepartnern und Markenbotschaftern für Unternehmen macht.
Vertrauen als Antwort auf Unsicherheit
Die Attraktivität der Influencer basiert auf dem Vertrauen, das ihnen von Fans und Followern entgegengebracht wird. Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnet Vertrauen als eine Erfahrung, die Unsicherheit im Hinblick auf das Verhalten unserer Mitmenschen schrittweise in Sicherheit verwandelt.[1] Es wird immer dort relevant, wo der Handlungsspielraum der Anderen Optionen beinhaltet, deren Wahl für sie attraktiv und nützlich, für uns aber unattraktiv und schädlich wäre. Es sind Situationen, in denen wir unserem Umfeld deshalb Motive unterstellen müssen, die unseren eigenen Interessen zuwiderlaufen. In solchen Situationen können wir uns besonders vorsichtig und defensiv verhalten, um den zu erwartenden Schaden möglichst zu minimieren. Aber dadurch schränken wir uns ein und lassen vielleicht Chancen ungenutzt: Angst und Unsicherheit halten uns an der kurzen Leine. Wir können stattdessen aber auch mit Vertrauen reagieren und davon ausgehen, dass der andere Rücksicht auf uns nimmt und uns keinen Schaden zufügen wird. Die Entscheidung des anderen verwandelt sich dadurch aus einer Gefahr in ein Risiko, das wir bewusst in Kauf nehmen und damit den Horizont unseres eigenen Entscheidungsspielraums vergrößern.
Damit Vertrauen wirksam wird, müssen allerdings zwei Voraussetzungen gegeben sein: Erstens muss der andere bei seiner Entscheidung wissen, dass wir ihm vertrauen und welches Verhalten er konkret vermeiden müsste, um uns vor möglichen negativen Folgen seines Handelns zu bewahren. Vertrauen kann also nur dort wirken, wo wir miteinander kommunizieren. Zweitens muss unser Vertrauen auch realistisch sein. Vertrauen ist blind, wenn es nicht auf vergangenen Erfahrungen beruht, wenn uns andere nicht schon in früheren Situationen bewiesen haben, dass sie vertrauenswürdig sind. Vertrauen muss also erst entstehen, es muss über eine Reihe von Vertrauensbeweisen schrittweise wachsen. Mit anderen Worten: Unbekannten Personen vertrauen wir wenn überhaupt, dann nur sehr wenig. Erst wenn wir sie näher kennenlernen, kommen wir mehr und mehr aus der Deckung. Und wenn sich die Vertrauensbeziehung über einen längeren Zeitraum stabilisiert hat, dann übersteht sie auch Enttäuschungen und kann zum Teil sogar schwere Erschütterungen verkraften.
Der Einfluss der Influencer als Vertrauen
Hiermit lässt sich der Einfluss der Influencer in ihrer Community gut erklären: Über einen regelmäßigen Dialog bauen sie über einen längeren Zeitraum eine Beziehung zu ihren Fans und Followern auf, die sich durch ein sehr starkes und bis zu einem bestimmten Grad auch strapazierfähiges Vertrauen auszeichnet. Durch das intensive Feedback auf ihre Beiträge haben sie besonders viele Möglichkeiten, ihrem Publikum ihre Vertrauenswürdigkeit zu beweisen.
Und genau dies unterscheidet Influencer Marketing von klassischer Werbung und Social-Media-Kommunikation im Allgemeinen vom einseitigen Broadcasting der Offline-Massenmedien: Weil die Nutzer den Influencern ihre Interessen, Wünsche und Sorgen mitteilen, weil sie Bewunderung aber auch Unzufriedenheit ausdrücken können und von den Influencern wahr- und ernstgenommen werden, kurz: weil sie viel mehr Erfahrung mit ihnen haben, entsteht eine engere Bindung. Mitunter werden Influencer dann wie sehr gute Freunde oder sogar Familienmitglieder betrachtet.
Das Video von Bibi alias Bianca Heinicke auf ihrem Kanal BibisBeautyPalace wurde 11.600 Mal kommentiert. Die Beiträge zeigen: Ihre Fans haben ganz offensichtlich das Gefühl, in ihr eine gute Freundin zu haben, der sie sich anvertrauen können.
Bibi zum Beispiel ist für ihre jungen Fans nicht nur irgendwie prominent, sondern ein Lifestyle-Vorbild. Die Teenager himmeln sie nicht nur an, sondern eifern ihr nach und kopieren ihr Verhalten. Deshalb geht es auf ihrem und ähnlichen Kanälen um viel mehr als nur einfache Schminktipps. Die Beauty-Vlogger klären auf, wie man richtig datet, sich organisiert und was man schenkt. Natürlich kann man das kritisch, ja kulturpessimistisch betrachten und in Besorgnis über diese Jugend versinken. Man kann aber auch funktional analysieren und feststellen: Für die Jugendlichen sind solche Beziehungen eben auch nützlich, weil sie Unsicherheiten reduzieren. Sie bekommen Halt und Orientierung — und nichts brauchen sie auf dem Weg durch ihre Adoleszenz mehr.
Timo Mikal Torres alias Liont von LIONTTV wurde mit Videos über den Alltag von Jugendlichen bekannt. Seine damalige Freundin ist heute als Dagi Bee eine der erfolgreichsten Influencerinnen in Deutschland.
Halten wir also fest: Das, was man in Bezug auf Influencer als Community bezeichnet, ist zu einem sehr großen Teil das kondensierte Vertrauen eines Publikums in ihre Expertise, ihre Einschätzungen und Entscheidungen. Influencer beeinflussen ihre Fans und Follower in einem Maß, wie es nur sehr wenige andere tun. Deshalb ist die Reduktion auf diesen Sachverhalt, die mit dem Begriff Influencer vorgenommen wird, auch keineswegs zu einseitig, sondern trifft ziemlich genau ins Schwarze. Und deshalb ist es falsch, wenn man die Beiträge der Influencer lediglich als Promi-Testimonials 2.0 betrachtet.
Unverständnis und mangelndes Interesse auf Seiten der Unternehmen
Wenn die Attraktivität der Influencer im Kern auf dem Vertrauen ihres Publikums basiert, lässt sich die derzeitige Krise des Influencer Marketings sehr gut erklären. Das Problem liegt schlichtweg darin, dass genau das zu oft nicht verstanden oder zumindest ignoriert wird. Viele Unternehmen machen es sich zu leicht: Sie bezahlen Beiträge oder kaufen Kampagnen als Agenturleistung ein, entwickeln aber kein Verständnis für den Influencer und seine Community. Sie wollen seine Reichweite nutzen, haben aber kein Interesse daran zu verstehen, worauf diese Reichweite basiert. Vielfach merkt man den so zustande gekommenen Inhalten an, dass hier ein reines Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis und keine Partnerschaft besteht. Bei den besonders prominenten Negativbeispielen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Unternehmen habe jegliche Form von Dialog und Auseinandersetzung mit den jeweiligen Influencern und ihren Themen, ihren Kompetenzen, ihrem Stil, aber auch ihren Bedürfnissen gescheut und als zu aufwändig abgelehnt. Das Problem liegt in solchen Fällen darin, dass alles ganz schnell gehen muss. Die Unternehmen wollen von der Beziehung zwischen dem Influencer und seinem Publikum profitieren, sind aber viel zu selten dazu bereit, selbst eine Beziehung zum Influencer aufbauen.
Selbstgemachte Probleme: Aus Win-Win-Win wird Lose-Lose-Lose
Dabei könnte alles so schön sein, denn im Idealfall gewinnen im Influencer Marketing gleich drei Parteien auf einmal: Zum einen natürlich das Publikum, das von der Expertise der Influencer profitiert und sich über wertvollen Content und die damit verbundene, unverzichtbare Reduktion der unfassbaren Komplexität von Online-Inhalten freuen kann. Zum zweiten selbstredend die Influencer, die für ihre hart erarbeitete Reputation und Reichweite eine finanzielle oder alternative Wertschätzung von Unternehmen erhalten. Und drittens eben auch die Unternehmen, die ihre eigenen Kommunikationsziele in den relevanten Zielgruppen auf eine sehr effektive Weise erreichen. Win-Win-Win.
Stattdessen sieht die Realität aber viel zu oft ganz anders aus: Das Ergebnis der Influencer-Marketing-Aktivitäten von Unternehmen sind leider häufig Beiträge, die inhaltlich und stilistisch nicht zur Art der Kommunikation des Influencers passen. Es mangelt diesem Content an Authentizität und zwar gerade deshalb, weil er mit den Erwartungen von Fans und Followern bricht. Es ist wichtig, sich dies ganz klar zu machen: Einen Influencer kennzeichnet nicht nur seine Reichweite, sondern auch ein ganz bestimmter individueller Stil, eine Ausrichtung, eine Strategie. Diese legen dann aber auch fest, was man innerhalb des damit gezogenen Rahmens kommunizieren kann, ohne dass es unglaubwürdig und unaufrichtig wird. Wer das ignoriert, kann sich mit hoher Wahrscheinlichkeit und im besten Fall auf den Spott der Netzgemeinde vorbereiten, im schlimmsten Fall werden die Marke und/oder sogar die Corporate Identity beschädigt: Lose.
Erdbeeren mit Margarine gefallen immerhin 57.120 Mal: Bekannt durch die TV-Sendung Der Bachelor ist Clea-Lacy Juhn nun immer wieder wegen Produktplatzierungen bei Instagram im Gespräch.
Aber damit nicht genug. Nicht nur das Unternehmen verliert dabei, sondern auch die Community. Denn die Fans und Follower werden ja gerade nicht mehr mit jenem nützlichen Content versorgt, den sie vom jeweiligen Influencer gewohnt sind. Die Orientierung, die ihnen der Influencer geboten hatte, geht verloren. Bei zunehmender Häufigkeit solcher Marketing-Aktivitäten bleibt dem Publikum schließlich nichts anderes übrig, als sein Glück woanders zu suchen und zu anderen Experten abzuwandern. Double-Lose.
Und selbst das ist noch nicht alles: Vor allem auch der Influencer selber ist durch einen massiven Verlust seiner Glaubwürdigkeit betroffen. Er verspielt das Vertrauen, das er sich hart erarbeitet hat.
Nur einige der unerfreulichen Kommentare zum Beitrag zur Coral-Kampagne des GZSZ-Stars Jörn Schlönvoigt. Post: joern_schloenvoigt, Quelle
Denn wenn er seine Prinzipien so leichtfertig über Bord wirft und sich peinliche Inhalte von anderen vorgeben lässt, ist er dann vielleicht grundsätzlich nicht so aufrichtig, wie man immer gedacht hatte? Wie stark wird er generell beeinflusst? Letztlich sinkt durch solche Praktiken das Vertrauen in Influencer generell und zwar umso stärker, je irritierender die Inhalte sind und je mehr negative Publicity sie dadurch erhalten. Ob das nun einen allgemeinen Trend bloß verstärkt oder nicht — der Image-Schaden zieht jedenfalls Kreise über den Einzelfall hinaus und betrifft dann auch Influencer und Unternehmen, die selbst gar keine Fehler machen.
Instagrammerin Sylvia Fritsch mahnt: “Mit Werbung für jeden und alles, ohne Rücksicht auf Sinn, Glaubwürdigkeit und Authentizität machen sich Influencer selbst ihr Geschäft kaputt.”
Alle wollen was vom Kuchen haben
Aber es gibt noch weitere Probleme, nämlich negative Rückkopplungsmechanismen auf der Seite der Influencer: Weil es so lukrativ ist, will natürlich fast jeder zum Influencer werden, und sei es nur auf einer Mikroebene. Auf Grund der Knappheit der Aufmerksamkeit ist das aber prinzipiell ausgeschlossen. Hinsichtlich der Frage, wer es schafft, ein Publikum zu faszinieren, besteht zwar Chancen- aber nicht Ergebnisgleichheit. Empirisch finden wir stattdessen eine Power-Law-Verteilung vor, bei der etwa 20 Prozent der Inhalte etwa 80 Prozent der Aufmerksamkeit erhalten. Mit anderen Worten: Es gibt ein paar, die sich durchsetzen, aber für fast alle anderen interessiert sich eigentlich keiner. Weil das aber viele nicht akzeptieren wollen, sorgen sie einfach künstlich für die entsprechenden Kennzahlen und kaufen sich ihre Community ein. Wie man das macht, wissen übrigens nicht nur Hobby-Blogger und Laien-Instagramer, sondern gerade auch die sogenannten Experten. Wir haben es hier mit einer Abwärtsspirale, einem klassischen Teufelskreis zu tun: Eine negative Praxis wirkt negativ auf sich selbst zurück. Der Effekt ist, dass Unternehmen sich gegenüber den Influencern nun generell skeptischer und argwöhnischer verhalten und nicht mehr nur eine Strategie für passende Inhalte entwickeln müssen, sondern auch eine zur Verifikation der organischen Reichweite von Influencern, wenn sie nicht betrogen werden wollen. Triple-Lose.
Aus Win-Win-Win wird also Lose-Lose-Lose und genau darin — und nicht etwa im Instrument des Influencer-Marketings als solchem — liegen die Gründe für die Diskussion, die wir derzeit über Influencer Marketing führen, für die Krise, aus der heraus Bewegungen wie “Rettet das Influencer Marketing” entstehen.
Weniger Marketing — mehr Relations!
Um es richtig zu machen, ist es aber nie zu spät. Gerade in einem Kontext aus Negativbeispielen kann man leicht als derjenige herausstechen, der es besser macht, weil er sich Mühe gibt. Doch nur mit Geduld lassen sich nachhaltige Erfolge erzielen. Das gilt einerseits für diejenigen, die Content produzieren und hoffen, irgendwann viele Fans zu haben oder sogar für Kooperationen interessant zu werden. Bots und Fake-Follower setzen sich mit Inhalten nicht auseinander — und das fällt negativ auf. Echte Reichweite generiert nur, wer aus sporadischen Lesern und Zuschauern durch wiederholt hochwertige und ehrliche Beiträge treue Fans macht. Geduld brauchen aber auch Unternehmen, die von der Bekanntheit eines Influencers profitieren wollen. Mit Geld kann man sich vielleicht einmalig ein Stück “Sendezeit” kaufen, so funktioniert Werbung seit jeher. Wer es aber zu eilig hat, setzt sich nicht ausreichend mit dem potentiellen Partner auseinander und läuft dann Gefahr, den falschen zu wählen. Was in der Community eines Influencers gut ankommt und was nicht, kann man erst einschätzen, wenn man sich die Zeit nimmt, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Erst anhand der so gemachten gemeinsamen Erfahrungen wird deutlich, ob man als Team funktioniert und damit auch alle anderen überzeugt.
von Johanna Lange und Stephan Frühwirt
[…] Blogger genießen häufig einen Experten-Status und gelten als authentisch. Influencer verlieren Vertrauen aufgrund von Follower-Kauf und Marktübersättigung (Quelle). […]
[…] Es ist wichtig für Unternehmen, diese Probleme anzuerkennen und transparenter zu sein. Ehrlichkeit und Authentizität sind entscheidend, um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen und eine langfristige Beziehung aufzubauen. Unternehmen sollten mit Influencern zusammenarbeiten, die ihre Werte teilen und deren Feedback objektiv und handfest ist. Nur so kann das Influencer-Marketing seine Wirksamkeit behalten und das Vertrauen der Verbraucher stärken. [5][6][7][8] […]