MODUL 4: Kritik in Vertrauen verwandeln
1. Case → 2. Insight → 3. Deep Lecture
Mit der Bahn vom Tränental
ins Liebesglück
9369 Likes, 838 Kommentare, zahlreiche Berichte in den Massenmedien – ein origineller Beschwerdepost auf der Facebookseite der Deutschen Bahn und die humorvolle Reaktion eines einfühlsamen Mitarbeiters erobern im Januar 2013 die Herzen der Nation. Die wahre Geschichte einer stürmischen Liebe und eines gelungenen Umgangs mit Kundenkritik.
von Anna-Lisa Menck und Stephan Frühwirt
Es ist der Morgen des 18. Januars 2013, an dem es Franziska Dobers reicht. Allzu lange hat sie sich in ihrer Beziehung aufgeopfert – immer mehr gegeben und immer weniger dafür zurückgekommen, sich versetzen lassen und trotzdem nachsichtig reagiert, schlechte Ausreden und viele Schwächen toleriert. Ab jetzt nicht mehr! Sie hat jemand Neuen kennengelernt und trennt sich, öffentlich via Facebook. Was ansonsten eher als verpönt gilt, ist in diesem Fall ziemlich originell. Denn der abservierte Partner der jungen Brandenburgerin ist nicht etwa eine Person, sondern der Deutsche Bahn Konzern.
Keine halbe Stunde später meldet sich der verschmähte Liebhaber reumütig zu Wort: Den humoristischen Tonfall der liebevoll-wütenden Kritik aufnehmend, entschuldigt sich ein Mitarbeiter des Social Media Teams der Deutschen Bahn für deren viele Fehler. Verständnisvoll und wertschätzend geht er auf die verärgerte Kundin ein, versucht die Situation, die das Fass für sie zum Überlaufen gebracht hat, genauer zu verstehen und gelobt Besserung, sollte sie der Bahn noch eine Chance geben.
Doch die Enttäuschung der Kundin sitzt zu tief. Sie sei sich nicht sicher, ob sie jemals wieder Vertrauen zur Deutschen Bahn fassen könne. Die aber gibt so schnell nicht auf:
So einfach lässt Franziska Dobers sich freilich nicht umstimmen. Jedoch betrachtet sie die gemeinsame Vergangenheit nun schon differenzierter und macht der Bahn, trotz ungebrochener Wut, ein erstes Gesprächsangebot:
Das lässt sich der aufmerksam zuhörende Mitarbeiter des Konzerns nicht zweimal sagen:
Zu diesem Zeitpunkt folgen schon zahlreiche Zaungäste dem intimen Gespräch mit tosendem Applaus. Das Echo der tausenden Likes und vielen Jubel-Kommentare beginnt bereits in den Weiten der sozialen Netzwerke widerzuhallen. Soviel steht fest: Die Herzen der Mitleser hat die Deutsche Bahn mit ihrer Reaktion im Sturm erobert. Unter ihnen melden sich auch erste Fürsprecher einer zweiten Chance zu Wort:
Doch es bleibt spannend. Ein Nebenbuhler von Franziskas neuem Freund Opel, betritt die Bühne:
Noch bevor Franziska auf die Avancen des Verehrers eingehen kann, wecken diese nun auch das Social Media Team von Opel aus dem Dornröschenschlaf. Entschieden macht der neue Partner an der Seite der enttäuschten Bahn-Kundin sich für seine Beziehung zu ihr stark, die ihr all das biete, wonach sie sich beim Schienenverkehr so sehr gesehnt hatte.
Nur vereinzelt springen Kommentatoren in dem stündlich um mehrere Posts anwachsenden Thread auf den Beschwerde-Zug auf, den die junge Brandenburgerin mit ihrer zwar humorvoll verpackten, aber nichtsdestotrotz wütenden Kritik, eigentlich hatte ins Rollen bringen wollen. Die große Mehrheit jedoch ist hin und weg. Die Kommentare sind voller Lob für die an der Liebesgeschichte beteiligten Unternehmen – vor allem für den tragischen Helden. Offensichtlich hat die Deutsche Bahn die Nutzer mit diesem Social Media-Auftritt positiv überrascht: So viel Witz und Gefühl hatten sie deren Mitarbeitern gar nicht zugetraut.
Mittlerweile berichten auch unzählige Blogs und die Massenmedien. Auf SAT 1, RTL und WDR, in Regionalzeitungen, auf BILD.de und auf verschiedenen Radiosendern finden sich Beiträge über das tragische Liebesaus. Die Hoffnung, doch noch ein Happy End der Geschichte mitzuerleben, lockt zahlreiche weitere Schaulustige in den Thread, die Hoffnung auf ein wenig von deren Aufmerksamkeit rund 30 weitere Unternehmen:
Vom Dessoushop bis zur Kirche lecken sich alle ihre virtuellen Finger nach ein paar Krümeln des viralen Kuchens, der als bittere Beschwerde serviert wurde und dank der geschickten, schnellen Reaktion des Mitarbeiters nun eher nach einer süßen Social Media Kampagne für die Deutsche Bahn schmeckt.
Und zu guter Letzt schließt auch die Liebesgeschichte noch mit einem Happy End. Franziska selbst tritt für ihre „geschätzte Deutsche Bahn“ ein, nennt deren übrige Kritiker Miesepeter und verkündet öffentlich, wie sehr sich das Verhalten ihres langjährigen Partners gebessert habe, nachdem sie ihm mit der Trennung drohen musste. Nun führe sie eine glückliche Dreierbeziehung.
So schön kann also Social Media sein…