MODUL 5: Authentische Selbstdarstellung
1. Case → 2. Insight → 3. Deep Lecture
Snapchat: Programmierte
Authentizität?
von Simon Noack und Stephan Frühwirt
Seitdem Social Media zum Standardrepertoire im Marketing Mix der meisten Unternehmen zählen, hält sich ein Wort hartnäckig im Standardrepertoire des PR-Jargons: Authentizität. Es gilt als Schlüssel zu Originalität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen, kurz zum Erfolg schlechthin. Und Social Media, so die weit verbreitete Meinung, bringen schon durch ihre technischen Voraussetzungen die Möglichkeit unmittelbarer und wahrhaftiger Kommunikation mit sich. Waren es zuletzt Youtube und Instagram, so ist es zurzeit vor allem die App Snapchat, der man dieses Potenzial zuschreibt.
Der Clou bei Snapchat: Mitteilungen verschwinden nach einer gewissen Zeit automatisch. Private Nachrichten können nur einmal angeschaut werden, bevor sie sich in Luft auflösen und die öffentlichen Snaps werden schon nach 24 Stunden sowohl aus der Nutzer-Timeline als auch von den Snapchat-Servern gelöscht. Ähnlich wie die Beschränkung auf 140 Zeichen bei Twitter ist es gerade diese Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeiten, die den Erfolg der „ephemeral messaging app” ausmacht. Denn weil sämtliche Mitteilungen ohnehin nicht lange einsehbar sind, sinkt auch die Hemmschwelle dessen, was mitgeteilt wird: Auch Momente, die in anderen Kontexten durchaus als belanglos, unschön oder gar peinlich gelten, werden bei Snapchat sehr viel bereitwilliger der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Akteure scheinen sich hier weniger Gedanken um ihre Darstellung zu machen und die Inhalte wirken weniger inszeniert. Dadurch ergibt sich ein Effekt der Unmittelbarkeit, den sich spätestens seit 2015 auch Unternehmen zunutze machen, um ihren Kunden das Gefühl zu geben, näher an der Marke dran zu sein.
McDonald’s nutzte die Gelegenheit eines Werbedrehs mit dem Basketballer LeBron James, um seinen Followern Einblicke hinter die Kulissen zu gewähren. Dabei zeigte der Fastfoodkonzern seinen neuen Burger in ungewohntem Licht – ganz ohne Studioglanz oder aufwändige Nachbearbeitung.
Fotos: McDonald’s auf Snapchat
Durch ihre Lebenszeit von 24 Stunden eignen sich Snaps besonders gut für Inhalte, deren Relevanz sich aus ihrer Aktualität ergibt und die unmittelbare Teilnahme verheißen. Während der Video Music Awards 2015 snappte MTV live vom roten Teppich und führte die Fans bis auf Selfie-Nähe an die Stars heran. Damit erreichte der Sender sogar mehr Views bei Snapchat als Zuschauer bei der offiziellen Fernsehübertragung.
Video: cyreneq, Quelle
BILD kann in Deutschland als journalistischer Vorreiter in Sachen Snapchat gelten: Die Zeitung nutzt die App vor allem, um Einblicke in ihre Reportagen zu gewähren, die ein typischer Artikel nicht bieten kann. Dafür nehmen BILD-Reporter die Follower mit auf Recherche und bieten ihnen Vorabinformationen aus erster Hand.
Fotos: BILD auf Snapchat
Der Verzicht auf Inszenierung und reflektierte Selbstdarstellung sorgen für Echtheit – das jedenfalls ist die Idee. Und die ist im ersten Moment auch ziemlich plausibel. Kein Wunder also, dass Snapchat vielerorts als die authentische App schlechthin gefeiert wird: Man spricht von einer “authentische[n] Anlaufstelle für alle, die schnell und einfach unterhalten werden wollen”, von einem “‘ganz nah dran‘-Gefühl” oder von der “ungeschminkten Wahrheit”. Doch entsprechen diese Erwartungen der kommunikativen Realität? Bringt die App wirklich den Authentizitätsfaktor als Keyfeature mit?