MODUL 4: Kritik in Vertrauen verwandeln
1. Case → 2. Insight → 3. Deep Lecture
Schnell reagieren mit Herz und Hirn
von Anna-Lisa Menck und Stephan Frühwirt
Öffentliche Kritik ist immer eine heikle Sache. Reagieren Unternehmen darauf schlecht oder gar nicht riskieren sie insbesondere in den Social Media eine Eskalation. Allerdings sind Beschwerden gute Unternehmensberater: Mit ihrer Hilfe lassen sich systematische Fehler frühzeitig erkennen, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen verbessern und – bei einem wertschätzenden Umgang mit dem Feedback – gegebenenfalls die Loyalität der Kunden steigern. Die sozialen Netzwerke stellen hier eine große Chance für Unternehmen dar. Denn sie bieten den Kunden eine Plattform, auf der sie Kritik mit geringem Aufwand äußern und unmittelbar in einen Dialog mit dem Unternehmen treten können.
Gefühle auf- und Informationen einfangen
Damit das nicht nach hinten losgeht, sollten sich die Social Media-Verantwortlichen zum Ziel setzen, die emotionale Reaktion des Kunden dabei schnell und überlegt aufzufangen. Worüber ärgert er sich? Wie enttäuscht und betroffen ist er? Welche Informationen fehlen, um seine Sicht auf das Problem zu verstehen? Wie sieht dieses aus dem Blickwinkel des Unternehmens aus? Und was braucht der Kunde in der aktuellen Situation?
Zuhören, nachfragen, wertschätzen
Der Trennungsbrief-Post von Franziska Dobers poppt um 09:18 Uhr auf der Facebook-Seite der Deutschen Bahn auf. Um 09:35 hat sie bereits eine erste Antwort – und zwar nicht bestehend aus Standardfloskeln und dem Link zu einem standardisierten Beschwerdeformular, sondern eine höchst persönliche. Mit viel Einfühlungsvermögen und Humor nimmt der Mitarbeiter die Steilvorlage der zutiefst enttäuschten Kundin auf, übergeht geschickt die explizite Abwertung des Unternehmens am Ende des Posts und zeigt sich stattdessen reumütig und schuldbewusst. Durch die Paraphrase ihrer wesentlichen Kritikpunkte macht er deutlich, dass er ihre Beschwerde sehr aufmerksam gelesen hat, durch zugewandtes Nachfragen, dass er die Situation genau verstehen möchte. Die Wertschätzung, die er ihr zudem entgegenbringt, unterstreicht zum einen, dass er dabei keineswegs auf eine Konfrontation aus ist. Zum anderen nimmt diese Haltung der Wut der Kundin die stärkste Wucht. So gewinnt ihr Ärger nicht weiter an Fahrt, die Gefahr eines Shitstorms ist gebannt. Die versetzte Bahnfahrerin lässt sich auf einen Dialog ein und gibt dem Unternehmen eine zweite Chance, „anstatt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen“, wie sie selbst zuletzt schreibt.
Kritik in positive Impulse verwandeln
Mit dem gewitzten, verständnisvollen Umgang streicht die Deutsche Bahn nicht nur bei Franziska Dobers Sympathiepunkte ein: unzählige andere Nutzer lesen ebenfalls gespannt mit. Die Aufmerksamkeit ist so groß, dass viele weitere Unternehmen versuchen, auf den Zug aufzuspringen und den Thread zu eigenen Werbezwecken zu nutzen. Später wird die Deutsche Bahn dafür Preise bekommen. Dass sie Probleme mit Verspätungen und Zugausfällen hat, gehört zum Allgemeinwissen. Die damit verbundene Kritik kann sie aber durch solch eine geschickte Social Media Kommunikation dennoch nutzen: Nach der unverhofften und kostenlosen viralen Marketing-Kampagne erscheint der Konzern vielen Nutzern zugänglicher und menschlicher — ein großer Gewinn für das Corporate Image.