
MODUL 7: Storytelling
1. Case → 2. Insight → 3. Deep Lecture
#heimkommen und Abheben
Social-Media-Erfolgsgeschichten
Längst sind nicht mehr nur Autoren oder Regisseure die Schöpfer von Geschichten. Alle wollen Geschichten erzählen und zwar nicht irgendwelche, sondern gute. Edeka und Southwest Airlines machen vor, wie erfolgreiches Storytelling im Social Web funktionieren kann.
von Jaana Müller-Brehm, Stephan Frühwirt und Simon Noack
Superrührend: Ein Opa erobert Millionen Nutzer-Herzen in #heimkommen
Ein alter Mann steigt mit vollgepackten Einkaufstaschen die schneegesäumten Stufen zu seinem Haus hinauf. Kaum hat er die Haustür geöffnet, ertönen die Stimmen seiner Tochter und Enkelkinder auf dem Anrufbeantworter: eine Absage. Auch in diesem Jahr können sie zum Weihnachtsfest nicht bei ihm sein. “Fröhliche Weihnachten, Opa”, wünschen sie ihm trotzdem. Indes steht der alte Mann in seiner Küche, schneidet sorgsam Möhren in gleichgroße Stücke. Durch’s Fenster sieht er, wie die Familie seiner Nachbarn ankommt, wie sich Großeltern und Enkel freudig in die Arme fallen. Traurig senkt er den Blick. Später sitzt er in Festtagskleidung an der großen Tafel in seinem Wohnzimmer, im Hintergrund ein prächtig dekorierter Weihnachtsbaum. Er hat sich Mühe gegeben, die Wohnung stimmungsvoll zu schmücken. Trotzdem isst er allein, neben ihm nur leere Stühle. Verdrießlich blickt er auf seinen Teller, die Mundwinkel weit nach unten gezogen.
Das gleiche Bild wiederholt sich auch im folgenden Jahr. Und im Jahr darauf. Die Einsamkeit zehrt an ihm. Als hätte all das ihm schließlich das Herz gebrochen, wechselt abrupt die Szene: Seine Kinder erhalten nacheinander die erschütternde Nachricht über seinen Tod. Sie sind schockiert, Tränen fließen. Natürlich machen sie alle sich sofort auf den Weg. Sie treffen sich vor seinem Haus, suchen Halt und Trost in den Armen ihrer Geschwister. Schafft es denn nur ein solcher Schicksalsschlag, die gesamte Familie zusammen zu bringen? Dann gehen sie hinein, um Abschied zu nehmen – und machen eine überraschende Entdeckung…
Edeka Weihnachtsclip #heimkommen: Edeka, Quelle
Edeka setzte mit #heimkommen in der Vorweihnachtszeit 2015 ganz auf emotionales Storytelling. Der Clip führte Millionen von Zuschauern durch ein Wechselbad der Gefühle. Und auch heute noch rührt die Einsamkeit des traurigen Großvaters unablässig Nutzer zu Tränen.

Schon 2014 hatte Edeka mit dem Web-Video Supergeil den Nerv der Nutzer getroffen und mit über 17 Millionen Aufrufen auf YouTube eine beachtliche Reichweite erzielt. Doch #heimkommen übertrifft diesen Erfolg leichtfüßig: Bereits 48 Stunden nach der Veröffentlichung haben über vier Millionen Menschen den Clip gesehen. Die Klicks und Likes steigen immer weiter an – auch noch ein Jahr später. Und so landet Edeka einen viralen Hit, der auf YouTube 55 Millionen Aufrufe und fast 17.000 Kommentare erreicht. Der entsprechende Facebook-Post erntet schnell mehr als 334.000 Reactions, wird über 31.000 mal kommentiert und fast 564.000 mal geteilt. Insgesamt verzeichnet #heimkommen bereits Ende 2015 knapp 2,4 Millionen Shares im Social Web. Das macht das Video zum meist geteilten Weihnachtsclip aller Zeiten. Statt supergeil also superrührend.

Post: Edeka, Quelle
Auch international bekommt #heimkommen viel Aufmerksamkeit und begeistert Nutzer überall auf der Welt.
Powerful commercial!!! — #heimkommen https://t.co/xpxwyx6rBl
— Arnar F. Reynisson (@arnarreynisson) 23. September 2016
Natürlich gibt es – wie immer – auch in diesem Fall einige Nutzer, die das Video für genau jene Emotionalisierung kritisieren, die es so erfolgreich macht. Aber Edeka reagiert schnell und erklärt, dass möglichst deutlich werden solle, wie kostbar die Zeit ist, die man gemeinsam mit den Liebsten verbringen und genießen kann. Und dieses Kommunikationsziel erreicht das Video denn auch bei der übergroßen Mehrheit aller Nutzer durchaus. Viele bedanken sich und beschreiben, wie sie die Geschichte zum Nachdenken angeregt, ja sogar zu einem Besuch bei den Eltern motiviert habe.

Mit #heimkommen wird ein kleiner, alter Mann, der einfach nur mit seiner Familie Weihnachten feiern möchte – koste es was es wolle – zu einem großen Star, der die Menschen bewegt. Natürlich interessiert das auch die klassischen Massenmedien wie Die Welt oder den Stern, die über den Spot berichten. Zudem räumt er zahlreiche Preise ab, wie beispielsweise den Webvideopreis in der Kategorie “Commercial”. Und auch andere Unternehmen beteiligen sich mit eigenen Beiträgen. So weist beispielsweise das Social-Media-Team der Deutschen Bahn humorvoll auf eine ganz andere, garantiert pietätvolle Möglichkeit hin, die Familie zum Fest zusammenzubringen:
Sehnsucht nach der Familie? #heimkommen gibt’s bei uns schon ab 19 Euro. pic.twitter.com/mFDxoZDGDQ
— DB Personenverkehr (@DB_Bahn) 2. Dezember 2015
”Every Seat has a Story”: Wie Southwest Airlines Fluggäste zum Storytelling motiviert
Auch die PR-Abteilung der US-amerikanischen Billigfluggesellschaft Southwest Airlines weiß: Geschichten können begeistern. Aber anders als viele Unternehmen erzählt die Fluggesellschaft nicht einfach selbst eine Geschichte, sondern ruft ihre Kunden dazu auf. Diese sollen ihre ganz persönlichen Erlebnisse auf dem unternehmenseigenen Blog teilen. Das ist ziemlich mutig, denn solche Aufforderungen können schnell Beschwerdelawinen oder Shitstorms der Kategorie #fragNestlé auslösen.

Screenshot: Website Southwest Airlines, Quelle
Aber nicht so im Fall Southwest Airlines. Statt Ärger über stundenlange Verspätungen, verloren gegangenes Gepäck und unfreundliches Flugpersonal zu äußern, berichten Gäste und Mitarbeiter der Fluggesellschaft seit 2006 in tausenden Blogposts von ihren ganz besonderen Momenten, die sie mit dem Unternehmen verbinden. Unter dem Claim “Every Seat has a Story ” veröffentlicht die Southwest-Community seither mehrmals wöchentlich ungewöhnliche Geschichten: über einen Adler, der auf Reisen geht, eine Verlobung weit oben im Himmel über Illinois oder einen Fotografen, der auf den perfekten Schnappschuss wartet.

Screenshot: Website Southwest Airlines, Quelle
Die Geschichten handeln von den besonderen Momenten des Alltags, führen das Beachtenswerte im vermeintlich Gewöhnlichen vor Augen, machen deutlich, dass immer etwas geschieht, was das Leben interessant macht. Und noch mehr: Die Geschichten sind Belege dafür, dass solche Momente zu jeder Zeit und überall erfahren werden können – eben auch auf einem Flug mit Southwest Airlines. Genau das erlebte der Flugbegleiter Kevin. Er erzählt in seiner Story “From Heart to Heart” davon, wie alle 140 Fluggäste einer vollen Southwest-Maschine mit ihren Fingern 140 Herzen für ein Foto formten, um der Nichte einer Passagierin mit der Aufnahme Kraft für eine bevorstehende Herzoperation zu spenden.

Foto: Southwest Airlines, Quelle
Dass sich die Kunden für die Geschichten interessieren, lässt sich an den Views im fünfstelligen Bereich ablesen, die einzelne Blogbeiträge zum Teil erreichen. In den Kommentaren bringen sie Zuspruch und Dank zum Ausdruck oder ergänzen eigene Beobachtungen und Eindrücke. Die Zweitverwertung der Inhalte in sozialen Netzwerken durch die Fluggesellschaft ist ebenfalls erfolgreich. Auch auf Facebook, Instagram und Twitter lösen die angeteaserten Geschichten zahlreiche Interaktionen und viel positives Feedback bis hin zu Treueschwüren und Liebeserklärungen aus. Das ist eindrucksvoll, aber nicht unerklärlich. Denn wer bleibt schon unberührt, wenn Jason allen anderen Passagieren mit 144 Donuts den Tag versüßt.
