
MODUL 6: Bilder und Ihre Wirkung
1. Case → 2. Insight → 3. Deep Lecture
Die Macht der Bilder
Bilder sind machtvolle Instrumente in der Social-Media-Kommunikation – das wissen auch Greenpeace, ImmobilienScout24 und Daniela Katzenberger. Was wir von ihnen über erstaunliche Interaktionsraten und Impact lernen können.
von Susanna Heuschkel, Johanna Lange, Stephan Frühwirt und Sophia Pantev
Mindbombs mit erheblicher Sprengkraft
Sie sind die Retter unseres globalen Ökosystems.
Sie werfen sich russischen Walfängern entgegen, die mit riesigen Harpunen auf ihr Schlauchboot schießen, entern eine Bohrinsel, die im Meer versenkt werden soll, und erklären uns, was der Konsum eines KitKat-Pausensnacks mit dem Biss in einen Orang-Utan-Finger zu tun hat. Seit den 70er Jahren kämpft Greenpeace so um unsere Aufmerksamkeit für den Umweltschutz. Ihre Waffen: dramatische Bilder, die uns ihre Botschaften mit aller Deutlichkeit vor Augen führen.
Foto: Rex Weyler/Greenpeace International, Quelle
Wer blutende Wale, ölverschmierte Wasservögel oder abgeholzte Regenwälder sieht, kann kaum einen Zweifel daran haben, welche katastrophalen Auswirkungen menschliches Handeln hat, wenn es, ohne Rücksicht auf das Ökosystem, ausschließlich wirtschaftlichen oder machtpolitischen Interessen folgt.

Bildausschnitt aus dem Film: How to Change the World. Jerry Rothwell. GB, CA 2015, beschnitten
Von Anfang an war den Aktivisten klar, wie wichtig Bilder für den Erfolg der Bewegung sein würden. Bereits die erste Aktion 1971 — damals noch unter dem Namen Don’t Make a Wave Committee durchgeführt — gegen den Test von Atomwaffen auf der Insel Amchitka wurde audiovisuell festgehalten. Robert Hunter, ein Mitbegründer der Gruppe, bezeichnete die Aufnahmen treffend als Mindbombs. Sie sollten das Bewusstsein der Menschen radikal verändern. Und obwohl ein zweiter Atomtest durch die Intervention der zwölfköpfigen Besatzung des Fischkutters Greenpeace letztlich nur verzögert, aber nicht verhindert wurde, übertraf die zivilgesellschaftliche Wirkung ihres Engagements selbst ihre kühnsten Erwartungen.
Wenn Greenpeace diese öffentlichkeitswirksamen Bilder nicht selbst produzierte, fütterte die Organisation die Massenmedien mit durchdacht inszenierten, provokativen Aktionen, die sich perfekt zu sendetauglichem Material verarbeiten ließen. Sie stabilisierte auf diese Weise eine Symbiose zwischen Aktivismus und Journalismus, die in der Zeit vor dem Internet für Protestbewegungen lebenswichtig war. Diese mittlerweile durchprofessionalisierte Kommunikation hat Greenpeace neben dem Erfolg – derzeit verzeichnet die Organisation rund 3 Millionen Mitglieder – aber auch Kritik eingebracht. In einem Interview aus dem Jahr 2000 erklärte der Mitbegründer Patrick Moore: „Greenpeace hat sich von Logik und Wissenschaft verabschiedet. Die Kampagnenprofis arbeiten mit emotionalen Bildern.”
Video: Greenpeace, Quelle
Auch im Social Web zünden die Aktivisten heute ihre Mindbombs. Die Detonationen erreichen auf verschiedenen Plattformen regelmäßig mehrere Millionen Nutzer. Dass hierbei die jahrzehntelangen Erfahrungen mit Bildern ein wesentliches Erfolgsmoment der Kommunikationsstrategie sind, wird schon beim ersten Blick auf die Timelines klar. Und auch an den Reaktionen lässt sich der Impact deutlich ablesen: Instagram-Fotos und bebilderte Facebook-Posts erreichen konstant hohe Interaktionsraten — das ist angesichts des Kampfes um die Aufmerksamkeit der Nutzer keinesfalls selbstverständlich.
Posts: Greenpeace, Quelle Post 1, Post 2, Post 3
Machbarer Aufwand, viele Informationen, riesiger Erfolg
Erfolgreich um die Aufmerksamkeit der Nutzer hat auch Immobilienscout24 gekämpft. Eine Anfang 2016 zuerst auf Facebook veröffentlichte Übersicht zur durchschnittlichen Kaltmiete in Berlin erreichte medienübergreifend insgesamt rund 79,5 Mio. Views. Das dafür eingesetzte Marketing-Budget: 0 EUR.

Tabelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Berliner Mietspiegel 2015, Quelle
Das klingt unglaublich? Stimmt! Genau genommen ist es sogar ganz und gar unvorstellbar, dass eine Tabelle wie diese überhaupt jemanden erreicht, der sich nicht gerade aus beruflichen Gründen gezwungen sieht, die darin enthaltenen Informationen zu entschlüsseln. Hat sie auch nicht. Denn der Beitrag von Immobilienscout24 sah völlig anders aus:
Foto: laleyla5, Quelle, Lizenz: CC0 Public Domain
Grafik: ImmobilienScout24, Quelle, Facebook-Post
Das ist die Miet-Map BERLIN, eine Visualisierung durchschnittlicher Mietpreise (kalt) für eine Zwei-Zimmer-Wohnung von 70m² in der Hauptstadt auf der Grundlage des Streckennetzes der Berliner U- und S‑Bahn. Die Idee: Viele Informationen möglichst einfach zugänglich darzustellen. Das Resultat: Ein Best-Practice-Beispiel für Öffentlichkeitsarbeit.

Die Darstellung zeigt konkret, was in Tabellenform nur abstrakt und schwer entzifferbar beschrieben werden kann. Durch ihre Anlehnung an den Plan von U- und S‑Bahn ist sie zudem intuitiv lesbar und bietet jedem Rezipienten Informationen zu seiner persönlichen Wohnsituation.

Ihre Anschlussfähigkeit sichert der Miet-Map in einem hochemotionalisierten Diskussionsklima viel Aufmerksamkeit: Wahrscheinlich alle Berliner haben von Gentrifizierung und Mietpreisbremse schon gehört und gelesen, viele von ihnen sind empört oder verängstigt. Doch das Problem rapide steigender Mietpreise wird in der öffentlichen Diskussion nur ganz selten so greifbar wie im Fall der Miet-Map. Entsprechend schnell äußern die Nutzer den Wunsch nach ebenso praktikablen Plänen für andere deutsche Städte.

Dass die Miet-Map etwas Besonderes ist, erkennen auch die Massenmedien sofort: Unmittelbar nach der Veröffentlichung auf Facebook berichtet die Berliner Zeitung über die Informationsgrafik. Die Berliner Morgenpost, der Fokus und der Stern schließen sich an. Insgesamt folgen über 200 weitere Medienberichte.

Wie groß der Informationsbedarf wirklich war, den diese spezielle Karte decken würde, hatte vor der Veröffentlichung auch die damalige Contentmanagerin Elaine Viebrock nicht geahnt. Trotzdem war sie davon überzeugt, dass die Miet-Map eine lohnenswerte Idee wäre. Nicht zu Unrecht: Für die Stakeholder generierte sie Content mit Mehrwert, für das Unternehmen einen Wert von rund 5 Mio. EUR.
Video: ImmobilienScout24, Quelle
Die Katze auf dem heißen Blechdach
Großen Hunger nach Neuigkeiten haben auch die Fans von Daniela Katzenberger. Sie wollen wissen, wie ihr Idol lebt, was sie isst und wo sie Urlaub macht. In den Massenmedien gibt es seit Jahren Sendungen über die Katze, zuletzt durften die Zuschauer in der Doku-Soap Daniela Katzenberger — Mit Lucas im Hochzeitsfieber an ihrer Trauung mit Lucas Cordalis teilnehmen. Zur Sendung veröffentlichte Frau Katzenberger sogar eine Single mit dem Titel I Wanna Be Loved By You.
Aber die Katze sorgt sich auch selbst sehr engagiert um ihre Fans, updated ihre Community meist mehrmals täglich. Fast immer nutzt sie dabei Fotos, mit durchschlagendem Erfolg: Die Interaktionsraten auf den einzelnen Plattformen sind enorm, die Reichweite ihrer Beiträge nicht selten sogar noch größer als die der meisten Sendungen, in denen sie auftritt. Besonders viele Reaktionen erhält Frau Katzenberger im September 2015 auf ein Foto, auf dem das Babybett für ihre neugeborene Tochter Sophia zu sehen ist.
Foto: obs/RTL II/RTL II / Andreas Freude, Quelle

Post: Daniela Katzenberger, Quelle
Ihre 2,5 Mio. Facebook-Fans teilen den Beitrag eifrig, überschütten sie mit über 36.000 Gefällt-mir-Angaben und kommentieren fast 1.600 Mal. Offenbar hat die Katze einmal mehr ein glückliches Händchen im Zusammenhang mit ihrer visuellen Selbstdarstellung. Doch die Reaktionen sind gemischt und schnell wird klar: Das Interesse der Follower gilt längst nicht nur dem schön dekorierten weiß-rosafarbenen Mädchentraum:





Gelobt werden auch die Lampe, Frau Katzenbergers Pullover oder ihre Haare. Aber auch Kritik wird geäußert: an der Bettdecke, dem Nestchen, dem Kuscheltier, der Wandfarbe. Schließlich emotionalisiert das Bild die Kommentatoren so sehr, dass sie die Krallen ausfahren. Während die einen dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit ausgesetzt sind, werden die anderen als Übermuttis beschimpft. Der Konflikt verschärft sich, schließlich entbrennt unter den Kommentatoren sogar ein Flame-War.
Daniela Katzenberger postet ein rosafarbenes Himmelbett und plötzlich geht es um Leben und Tod. Und das alles nur wegen eines Bildes? Wieso das gar nicht ungewöhnlich ist, erklärt das Insight.