Trump, Brexit, Frankreich-Wahlen — die politische Welt ist in Aufruhr und ein Begriff ist dabei in aller Munde: Fake News. Auch in Deutschland ist im Hinblick auf die Bundestagswahl die Angst vor einer Beeinflussung durch Fake News groß. Doch ist diese Angst wirklich berechtigt? Sind Fake News tatsächlich in der Lage, die nächste Bundestagswahl zu beeinflussen, oder ist unser demokratisches Immunsystem stark genug, um mit diesem Problem fertig zu werden? Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme gibt Aufschluss.
Spätestens seit dem amerikanischen Wahlkampf im vergangenen Jahr ist das Thema Fake News auch in Deutschland auf der Tagesordnung. Nach dem Wahlsieg Trumps wurde gemutmaßt, der Ausgang sei durch die gezielte Streuung von Fake News stark beeinflusst, möglicherweise sogar bestimmt worden. Ähnliche Bedenken wurden nach der Brexit-Entscheidung geäußert. In Deutschland sieht derzeit jeder Zweite Fake News als ernsthafte Gefahr für die Demokratie an und Politiker forderten bereits Ende letzten Jahres härtere Strafen für die Verbreitung von Falschmeldungen.

Negative Effekte auf die öffentliche Meinung: Können Fake News etwa auch die anstehenden Bundestagswahlen manipulieren? Foto: RichardLey, Quelle, Lizenz: CC0 Creative Commons
Insbesondere im Hinblick auf die am 24. September anstehenden Bundestagswahlen herrscht eine diffuse Angst vor der gezielten Beeinflussung durch Fake News. Aber wie berechtigt ist diese Angst wirklich? Können Fake News tatsächlich die politische Meinungsbildung manipulieren und den Ausgang von Wahlen signifikant beeinflussen? Oder sind die Effekte doch eher gering und Fake News ein überbewertetes Phänomen?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, werfen wir einen Blick auf die Forschung zum Thema. Ihre Ergebnisse helfen uns, die Funktionsweisen von Fake News, ihre Entwicklung speziell auf Social-Media-Plattformen und ihre Rolle in der politischen Kommunikation besser zu verstehen.
“You are fake news!” und was noch alles damit gemeint ist
Was mit dem Ausdruck Fake News im öffentlichen Diskurs eigentlich gemeint ist, wird aktuell scheinbar immer unklarer. Einerseits dient er in Debatten als Kampfbegriff, um unbequemen Fragen auszuweichen oder andere abzuwerten.

Vielfach wird der Begriff als ablehnender Ausdruck im öffentlichen Diskurs verwendet. Foto: Kayla Velasquez, Quelle, Lizenz: Unsplash License
Insbesondere traditionelle Medienunternehmen sollen mit dem Vorwurf “You are Fake News” diskreditiert werden, der Begriff dient hier als Synonym für Lügenpresse. Andererseits wird er aber auch als gänzlich undifferenzierte Bezeichnung für Lügen und Falschmeldungen aller Art oder sogar Satire genutzt. Ein Beispiel hierfür sind die von den Grünen gefälschten FDP-Wahlplakate, die im Juli dieses Jahres auf Twitter vielfach geteilt wurden. Weil aber Satire nicht die Intention hat, das Publikum bewusst in die Irre zu führen, sondern stattdessen mit Hilfe von Ironie und Überspitzung den kritischen Diskurs fördern will, ist der Begriff insbesondere in diesem Zusammenhang unangebracht. Auch unbeabsichtigte Falschmeldungen sollten nicht als Fake News bezeichnet werden, selbst dann nicht, wenn sie durch eine unzureichende Recherche zustande gekommen sind. Aus demselben Grund gehört auch das sogenannte Clickbaiting, bei dem Nutzer durch aufsehenerregende Überschriften zum Klicken animiert werden sollen, nicht in die Kategorie Fake News. Häufig werden darüber hinaus eine hohe Reichweite und die besondere Aufmerksamkeit, die bestimmten Meldungen gewidmet wird, als Merkmal für Fake News genannt. Da aber auch besonders relevanten Breaking News unter Umständen viel Beachtung geschenkt wird, kann Aufmerksamkeit kein hinreichendes Merkmal für Fake News sein.
Der inflationäre und undifferenzierte Gebrauch des Ausdrucks verwischt die klaren Konturen und droht ihn unbrauchbar werden zu lassen. In diesem Zusammenhang schlägt die Journalistin Margaret Sullivan von der Washington Post vor, den Begriff “Fake News” überhaupt nicht mehr weiter zu benutzen. Aber das ist natürlich keine befriedigende Lösung. Denn ohne eine Möglichkeit zur Bezeichnung könnte man auch das Problem nicht thematisieren. Es ist deshalb nötig, das Phänomen in unterschiedlichen Dimensionen sinnvoll von Beleidigungen, Satire, unsauberer journalistischer Arbeit und anderen Verwendungen abzugrenzen.
Fake News: Absichtliche Täuschung mit großem Empörungspotenzial
In diesem Sinne lassen sich Fake News als absichtlich konstruierte Lügen in der Form von Nachrichten bestimmen, die eine möglichst weitreichende Verbreitung finden sollen. Dabei werden — ähnlich wie beim Clickbaiting — meist stilistische Mittel verwendet, die stark dramatisieren und moralisieren und höchste Brisanz und Empörung zum Ausdruck bringen. Die wesentlichen Merkmale von Fake News sind also getarnte Unwahrheit, Absicht und eine effektive Bindung der Aufmerksamkeit.
Eine Desinformation des Publikums ist in unterschiedlichen Formen möglich. Der Inhalt von Fake News kann beispielsweise völlig frei erfunden sein, wie in der Meldung, der Papst unterstütze den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, die im Oktober 2016 vielfach geteilt wurde.

Trump als Präsident von Gottesgnaden? Nur eine von vielen Fake News im US-Wahlkampf 2016. Foto: DonkeyHotey, Quelle, Lizenz: CC BY-SA 2.0
Häufig werden Fake News aber auch durch eine Dekontextualiserung von Informationen erzeugt. Aus dem Kontext gerissen kann sich eine ganz andere Aussage ergeben, als ursprünglich intendiert war. Ein Beispiel hierfür ist der Ausschnitt eines Interviews mit Angela Merkel, der im Januar 2016 auf dem Youtube Kanal des Senders Gloria TV zu sehen war. In diesem Ausschnitt hört man Angela Merkel sagen: “Wir müssen akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Immigranten besonders hoch ist”. Durch den fehlenden Kontext ließ sich ihre Aussage als Forderung interpretieren, Gewalt von Menschen nicht-deutscher Herkunft müsse toleriert werden, und führte zu einem Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung. Eine weitere Möglichkeit ist die Manipulation von eigentlich wahren Informationen. Dies ist häufig bei Bildern oder Quellenangaben der Fall. Ein Beispiel hierfür ist der angebliche Slogan-Klau der CDU, der jüngst auf Facebook und Twitter thematisiert wurde. In einer Fotomontage sind zwei Wahlplakate zu sehen. Das eine zeigt Angela Merkel und den aktuellen Wahlslogan der CDU: “Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben”. Auf einem zweiten, historischen Plakat der SED ist in leicht abgewandelter Form eben dieser Slogan zu lesen. Bei diesem Foto handelte es sich jedoch um einen Fake, wie schnell klar wurde. Manipulierte Fotos und Videos sind deswegen so wirkungsvoll, weil wir ihnen eine größere Glaubwürdigkeit zuschreiben.
Die mit der Konstruktion und Verbreitung von Fake News verbundenen Absichten können jeweils sehr unterschiedlich sein und müssen nicht zwingend auf politische Effekte abzielen: Neben dem Motiv, das Publikum in die Irre zu führen und so die öffentliche Meinung zu beeinflussen, geht es den Verantwortlichen häufig auch darum, Aufmerksamkeit und Reichweite für bestimmte Websites und Portale zu erzielen, um dann Werbeeinnahmen zu generieren. Nicht auszuschließen ist darüber hinaus auch die Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse: Mit dem Vermögen, Aufmerksamkeit zu binden, können Gefühle von Stärke und Macht einhergehen. Ähnliche Motive lassen sich häufig auch bei Trollen vermuten, deren Ziel es ist, Diskussionen so zu eskalieren, dass die sachliche Auseinandersetzung völlig unmöglich wird.
Nicht neu, aber jetzt entfesselt
Schon früh wurde in der Diskussion um Fake News festgestellt, dass es sich hierbei nicht um ein völlig neues Phänomen handelt. Seit jeher wurden Informationen absichtlich gefälscht, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Jedoch haben sich mit dem Internet einige Kommunikationsbedingungen so geändert, dass Fake News heute mit zu den besorgniserregendsten Problemen des digitalen Zeitalters gehören.

Im digitalen Universum entscheiden die Nutzer, was publiziert wird. Foto: TeroVesalainen, Quelle, Lizenz: CC0 Creative Commons
Früher waren Gatekeeper, wie etwa Journalisten oder Verleger, dafür zuständig, Informationen zu überprüfen und zu filtern, bevor sie publiziert und damit einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurden. Heute werden diese Filter durch die Nutzung von Plattformen wie beispielsweise Facebook, Twitter oder auch Google umgangen und Nachrichten längst nicht mehr nur von den traditionellen Medienunternehmen bezogen. Dieser Wegfall traditioneller Gatekeeper hat neben vielen positiven Effekten, die mit dem Stichwort Demokratisierung der Medien begrüßt werden, auch negative Seiten: Denn die online veröffentlichten Informationen unterliegen weder einem Pressekodex noch anderen Regeln, die ihre Richtigkeit garantieren oder zumindest wahrscheinlicher machen könnten. Halb- oder Unwahrheiten haben seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zumindest prinzipiell die gleichen Verbreitungschancen, wie vielfach bestätigtes Wissen. Mit dem Internet ist so eine Situation entstanden, die man in Anlehnung an den viel besprochenen Information Overload auch als Information Uncertainty bezeichnen könnte: Online kann man nicht wissen, ob Informationen zuverlässig sind oder nicht und es sind zusätzliche Maßnahmen notwendig, um diese Unsicherheit zu reduzieren.
Die vereinfachte Verbreitung von Informationen führt auch zu ihrer Beschleunigung, den sogenannten viralen Effekten: Fake News können über persönliche Kommunikationsnetzwerke von Nutzer zu Nutzer weitergegeben werden. Im Vergleich zur früheren Mund-zu-Mund-Propaganda, die wesentlich auf Anwesenheit angewiesen war, ist es auf Social Media-Plattformen möglich, mit nur wenigen Klicks gesamte Freundes- und Bekanntenkreise zu erreichen. Solche Netzwerkeffekte unterlaufen jede Hoffnung auf ein rechtzeitiges Debunking der Falschmeldungen durch entsprechende Institutionen. In der Folge wirkt die Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts für einen Beobachter besonders reizbar und nervös.
Sind wir alle verblödet? Oder: Wieso funktionieren Fake News?
Die gestiegene potenzielle Reichweite und die erhöhte Verbreitungsgeschwindigkeit von Fake News erklären zwar die Prominenz, die das Thema mittlerweile erreicht hat, aber noch nicht, wieso sich diese Inhalte tatsächlich auch verbreiten. Mit anderen Worten: Die Vereinfachung der Kommunikation gilt für jeden Content — aber wieso werden dann nicht Informationen mitgeteilt, die verlässlich sind? Diese Frage ist umso wichtiger, weil es eigentlich eine Fülle an Möglichkeiten gibt — z. B. Vergleich verschiedener Quellen, Googles PageRank oder unterschiedlichste Bewertungssysteme und vieles mehr -, Inhalte ohne größeren Aufwand auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen.
Man darf die Phänomene sozialer Ansteckung, die im Zusammenhang mit Fake News zu beobachten sind, nicht vorschnell zirkulär begründen. Genau dies ist jedoch im Grunde der Kern jener Erklärungen, die beispielsweise Mitläufereffekte beobachten. Sie gehen davon aus, dass Nutzer sich in ihrem Urteil über Akzeptanz oder Ablehnung einer Information häufig einer Mehrheitsmeinung unterwerfen. Es stimmt zwar, dass gemeinsam geteilte Einstellungen größerer Gruppen einen Anpassungsdruck auf Individuen in ihnen ausüben und man deshalb Mitläufereffekte beobachten kann. Allerdings muss man im Fall von Fake News zuerst einmal erklären, wie es zu einer mehrheitlichen Akzeptanz der falschen Nachricht überhaupt gekommen ist, bevor etwaige Effekte auf einzelne Nutzer wirksam sein können. Dies gilt auch für die Erklärung, dass Leser Informationen eher glauben, wenn diese von Bekannten stammen. Auch Bekannte müssen die entsprechenden Fake News ja zunächst einmal selbst glauben, bevor sie diese dann in ihrem Netzwerk verbreiten.
Aber wo liegen die Ursachen dafür, dass sich Nutzer von falschen Informationen in die Irre führen lassen, obwohl wir es heute mit einer Quellenvielfalt und damit verbundenen Überprüfbarkeit von Inhalten zu tun haben, die mediengeschichtlich betrachtet beispiellos ist?
Sicherlich wird man dem entgegenhalten können, dass es gerade diese Menge an Informationen ist, die das Problem mitverursacht. Nutzer werden online geradezu mit Inhalten überflutet, was zum bekannten Phänomen des Information Overload führt. Zudem informieren sich Nutzer mittlerweile häufig über mobile Endgeräte. In der Folge nehmen Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit der Nutzer stark ab. So werden beispielsweise nur noch 15% der aufgerufenen Online Inhalte wirklich gelesen, häufig nur noch die Überschriften überflogen. Dies führt natürlich zu einer höheren Täuschungsanfälligkeit. Mit der gestiegenen Komplexität allein lässt sich das Phänomen Fake News jedoch trotzdem nicht befriedigend erklären: Denn normalerweise nimmt die Skepsis des Empfängers einer Information umso mehr zu, je größer ihre Relevanz ist. Angesichts der Brisanz und Dramatik der meisten Fake News müsste man deshalb erwarten, dass die Nutzer in diesen Fällen der oberflächlichen Rezeptionshaltung zum Trotz besonders wachsam sind und solche Nachrichten nur sehr zögerlich akzeptieren. Die Leichtfertigkeit und Achtlosigkeit, mit der sie allerdings selbst den bizarrsten Unsinn teilen, scheinen dieses Prinzip jedoch völlig außer Kraft zu setzen — und die Frage lautet: wieso?
Der Grund: Ich glaube, was ich glaube, was ich glaube, was ich glaube…
Es erscheint vielversprechender, Fake News durch ein psychologisches Phänomen zu erklären, das normalerweise der Verarbeitung komplexer Informationslagen dient — das sogenannte Confirmation Bias, das auch als Bestätigungsfehler bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um eine Vereinfachungsstrategie, bei der Informationen, die nicht zu einer Überzeugung oder Erfahrung passen, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden. Die Empfänger von Fake News glauben so gesehen also eher jene Nachrichten, die ihrer Perspektive entsprechen, und dies selbst dann, wenn sie gleichzeitig über Informationen verfügen, mit denen sie die Falschmeldungen korrigieren könnten. Dabei ist die Schwelle, ab der gegenteilige Informationen einen Einstellungswechsel erzwingen, umso größer, je bedeutsamer und damit emotionaler die jeweilige Einstellung ist. Der Bestätigungsfehler ist natürlich keine sehr sympathische Erklärung. Wir geben ungern zu, dass unser Erleben und Handeln sehr stark von Vorurteilen, Frames, Schemata und Skripten geleitet ist, denen wir auf Grund unserer Erfahrung mehr vertrauen als Informationen, die diese Strategien in Frage stellen. Vielleicht bevorzugen wir deswegen auch Begründungen wie die Mitläuferthese, auch wenn sie bei genauerem Hinsehen nicht überzeugen können.
Fake News und Politik
Auf Grund der Popularität des Themas sind in den vergangenen Monaten verschiedene Initiativen entstanden, die Fake News den Kampf angesagt haben. Internetseiten wie beispielsweise CORRECTIV, der Faktenfinder der Tagesschau und der Verein Mimikama überprüfen Nachrichten auf ihre Richtigkeit und enttarnen so Falschmeldungen. Sicherlich lassen sich so in manchen Fällen Gegendarstellungen veröffentlichen. Aber dadurch bleiben die Fake News erstens trotzdem in Umlauf und zweitens wirken solche Maßnahmen angesichts der Menge an Informationen, die täglich online veröffentlicht werden, natürlich nur wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
Wirkungsvoll wäre nur eine automatisierte Verarbeitung der Datenmengen. An den entsprechenden Verfahren arbeiten auch die großen Social-Media-Anbieter mit. Facebook hat seinen Usern beispielsweise versprochen, verschiedene Maßnahmen gegen die Verbreitung von Fake News zu ergreifen und setzt nun Algorithmen zu ihrer Erkennung ein. Seiten, die wiederholt Fake News teilen oder auf diese verlinken, dürfen keine Werbung mehr auf Facebook schalten. Aber auch die Politik macht Druck: Ende Juni wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Bundestag beschlossen. Das Gesetz soll für die Eindämmung von Hate Speech, Fake News und anderen Straftaten sorgen. Soziale Netzwerke sind dazu verpflichtet, “offenkundig strafbare Inhalte”, auf die sie hingewiesen worden sind, innerhalb von 24 Stunden zu löschen. In weniger eindeutigen Fällen gilt eine Frist von sieben Tagen. Erfolgt keine Löschung, können bei mehrmaligem Verstoß Strafen in Höhe von 50 Millionen Euro drohen. Kritiker befürchten jedoch, dass durch das sogenannte “Zensurgesetz” die Meinungsfreiheit der Nutzer massiv eingeschränkt wird, da es eine präventive Löschung möglicherweise problematischer Inhalte in großem Umfang erzwingen könnte. Denn die zur Verfügung stehenden Algorithmen sind bislang noch nicht ausgereift genug, um sicher zwischen Fake und True News zu unterscheiden.
Angesichts dieser Hilflosigkeit kann man die Sorgen über eine mögliche Manipulation der Wahlen durch gezielte Desinformation natürlich noch besser verstehen. Aber haben Fake News tatsächlich ernst zu nehmende Effekte auf die politische Willensbildung?

Alarmstufe Rot für die Demokratie? Können wir uns noch darauf verlassen, dass der Willensbildungsprozess auf verlässlichen Informationen beruht? Foto: ulleo, Quelle, Lizenz: CC0 Creative Commons
Fake News und Filter Bubbles — das Ende der Demokratie?
Kommen wir zur Beantwortung der Frage zunächst noch einmal auf das Problem des Confirmation Bias zurück: Vielfach wird der Bestätigungsfehler in Verbindung mit der Entstehung sogenannter Filterblasen gebracht. Dabei verändert sich die normale Selektion von Inhalten nach individuellen Interessen, die jeder Nutzer täglich vornimmt, in einer sehr ungünstigen Weise. Der Nutzer kapselt sich ein und liest und hört nur noch, was seinem Weltbild entspricht. Diese Selbstbestätigung der eigenen Perspektive hat dann zunehmende Verstärkungs- und zum Teil auch Radikalisierungseffekte. In einem solchen Fall können auch Fake News dazu beitragen, dass sich eine verzerrte Wahrnehmung politischer Verhältnisse festigt, können vielleicht sogar dazu führen, dass sich Einzelne endgültig vom demokratischen System abwenden. Es ist aber sehr wichtig, dabei im Auge zu behalten, dass Fake News nur einen Teil der dafür verantwortlichen Informationen darstellen. Das Problem der Exklusion und Isolation, das mit dem Begriff Filter Bubble adressiert ist, kann nicht gut allein auf Manipulation zurückgeführt werden. Es wäre unrealistisch, würde man davon ausgehen, dass Bürger nur besorgt sind, weil sie getäuscht werden. Mit anderen Worten: Das Filter-Bubble-Problem erschöpft sich nicht, nicht einmal ansatzweise in Fake News. Wer gegen solche antidemokratischen Tendenzen kämpfen möchte, wäre schlecht beraten, nur bizarre Geschichten über die Bundeskanzlerin zu verbieten. Das Problem hat andere Wurzeln und dort müsste man ansetzen.
Speziell im Hinblick auf politische Wahlen kann man aber davon ausgehen, dass solche Nutzer auch ohne Fake News schon Meinungen besitzen, die ein bestimmtes Wahlverhalten motivieren. Man wird sie typisch an den politischen Rändern finden — links wie rechts. Sie lassen sich beispielsweise der Gruppe der Protestwähler zuordnen oder bleiben als Verzweifelte am Wahltag einfach zu Hause. Sie wechseln nicht wegen Fake News plötzlich die Seiten. So sehr ihre Meinungen also anderen Überzeugungen zuwiderlaufen mögen, so sehr man sich persönlich an ihrem Populismus und ihrer Naivität stört: Eine signifikante Beeinflussung der Wahl durch Fake News ist auf diesem Weg extrem unwahrscheinlich.
Hard Facts statt “Drama, Baby!” — was wir über Fake News wissen
Davon abgesehen wird das Problem der Filter Bubbles insgesamt auch deutlich überschätzt. Bislang fehlen konkrete empirische Nachweise einer wirklichen Selbstisolation und einer echten Totalverweigerung im Hinblick auf eine Diversität der Informationsquellen. Womöglich ist unsere Wahrnehmung also dabei mehr von journalistischen Dramatisierungseffekten geprägt. Stattdessen belegen Studien eine insgesamt deutlich diversifizierte Mediennutzung mit einer zentralen Bedeutung qualitativer Inhalte, insbesondere auch in Deutschland. Bei uns gilt nach wie vor das Fernsehen als wichtigste Quelle, wenn es um tagesaktuelle Nachrichten geht. Lediglich 28% der Befragten informieren sich lieber im Internet und nur 7% bevorzugen soziale Medien. Die Zahl derer, die soziale Medien als ihre einzige Informationsquelle nutzen, liegt derzeit bei lediglich 1,6%. Auch das Vertrauen in die klassischen Medien liegt in Deutschland auf einem hohen Niveau. Für 72% der Bevölkerung ist das Fernsehen (öffentlich-rechtlich) und für 65 % sind Tageszeitungen eine glaubwürdige Quelle, wesentlich niedriger ist das Vertrauen hingegen in das Internet (27%) und in soziale Medien (8%).

Auch wenn sie Einbußen bei Quoten und Auflagen hinnehmen müssen: Das Vertrauen in die klassischen Medienakteure bleibt auf einem konstant hohen Niveau. Foto: G. Crescoli , Quelle, Lizenz: Unsplash License
Dieses Bild bestätigt sich auch für andere Länder, wenngleich die Medienlandschaft beispielsweise in den USA deutlich polarisierter ist und soziale Medien insgesamt eine größere Rolle spielen. Es war denn auch der amerikanische Wahlkampf im vergangenen Jahr, der die Debatte um den Einfluss von Fake News angestoßen hatte. Doch die Annahme, dass Desinformationen eine entscheidende Rolle bei der US-Wahl gespielt haben, wurde Anfang des Jahres 2017 durch eine Studie der Standford Universität nicht bestätigt. Anders als es zwischenzeitlich den Eindruck gemacht hatte, waren Social-Media-Kanäle zwar eine wichtige, aber nicht die dominante Informationsquelle. Das Fernsehen ist auch in den USA die wichtigste Informationsquelle und hat trotz einer anhaltenden Medienskepsis einen enormen Einfluss. In der durchgeführten Befragung konnten sich lediglich 15% der Probanden an populäre Fake-News-Schlagzeilen aus der Zeit des Wahlkampfs erinnern und nur 8% gaben an, diese Schlagzeilen auch geglaubt zu haben. Aus diesen Angaben leiteten die Autoren die Menge an Fake News ab, die ein Erwachsener während des Wahlkampfs im Durchschnitt rezipiert hatte. In Kombination mit Werten über die Wahrscheinlichkeit, mit der aus dem Kontakt mit solchen Nachrichten auch eine Einstellungsänderung resultiert, veranschlagten sie, dass die Wirkung von Fake News auf die Wahlergebnisse in der Größenordnung eines hundertstel Prozentpunktes gelegen haben dürfte. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine Studie der Harvard Universität: Die in der Studie erhobenen Daten belegen, dass ein Großteil der Bevölkerung, auch diejenigen, die ihre Informationen über Social-Media-Kanäle beziehen, weiterhin dem Nachrichtenangebot traditioneller Medienunternehmen folgt. Die Nutzer schätzen Qualitätsjournalismus und überprüfen Informationen anhand verschiedener Quellen. Die Autoren beobachten und kritisieren deshalb zwar eine neuartige deutliche Spaltung der Öffentlichkeit in die beiden großen konkurrierenden politischen Lager, bewerten aber konkret Fake News explizit nicht als ernstzunehmendes Problem.
An der Oxford Universität wurden darüber hinaus mehrere Studien über die Verwendung von Twitter in den Wochen vor wichtigen Wahlen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland durchgeführt. In den Studien wurden Tweets mit Bezug auf die jeweiligen Wahlkämpfe auf die Qualität der in ihnen verlinkten Inhalte geprüft und das Verhältnis von True zu Fake News untersucht. Bei der Analyse der Tweets in den Wochen vor den britischen Parlamentswahlen dieses Jahres zeigte sich beispielsweise, dass dieses Verhältnis stark zugunsten verlässlicher Inhalte ausfiel: Jeweils fünf Links zu etablierten Nachrichtenseiten stand lediglich eine Falschmeldung gegenüber. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich führten hingegen 46% der geteilten Links zu etablierten Nachrichtenseiten, 15,7% auf die Seiten von Parteien und Experten und sogar nur ca. 4 % auf Seiten, auf denen Desinformationen zu finden waren. Auch in Deutschland wurden im Zuge der Bundespräsidentenwahl größtenteils Links zu professionellen Informationsseiten geteilt. Nur einer von fünf Links zu Nachrichtenseiten leitete zu Fake News weiter, über die vier übrigen Verweise erreichten die Nutzer etablierte und qualitativ hochwertige Nachrichtenseiten.
Entwarnung: Bizarr, aber harmlos
Angesichts der Studienlage kann also von einer zunehmenden Konzentration der Nutzer auf einige wenige Quellen und Inhalte insgesamt keine Rede sein. Die öffentliche Meinungsbildung findet offenbar für den überwiegenden Teil der Bevölkerung eben nicht in Echokammern und Filterblasen statt. Im Gegenteil: Meinungsvielfalt und Vertrauen in Qualitätsjournalismus spielen auch und gerade heute eine zentrale Rolle. Einzelne Fake News sind in eine Informationsumwelt eingebettet, in der sie von verlässlichen Inhalten massiv überlagert werden. Der Wettbewerb der Informationsquellen und die Medienkompetenz der Digital Natives und Immigrants wirken hier wie ein demokratisches Immunsystem.

Die Nutzer konsumieren nach wie vor hochwertige journalistische Inhalte. Deshalb sind Fake News vor allem eines: unterhaltsame Kuriositäten. Foto: Markus Spiske, Quelle, Lizenz: CCo Creative Commons
Aus diesem Grund ist das Risiko, dass Nutzer durch gezielte Lügen manipuliert werden, äußerst gering. Die Voraussetzungen für eine differenzierte Meinungsbildung und eine gut informierte und reflektierte politische Mitbestimmung sind, insbesondere auch in Deutschland, also durchaus gegeben. Eine besondere Gefahr für die nächste und auch für die übernächsten Wahlen ist nicht zu erkennen.
Vielleicht müssen wir einsehen, dass wir einer optischen Täuschung unterliegen, wenn wir dem Problem eine so große Relevanz zuschreiben, wie dies im massenmedialen Diskurs zu beobachten ist. Möglicherweise sind wir einfach von jenen Halb- und Unwahrheiten überrascht, die früher den Rahmen von geselligen Stammtischabenden nicht verlassen haben, heute aber öffentlich sichtbar geworden sind. Wie dem auch sei, es wäre jedenfalls gut, wenn wir unsere Aufregung drosseln würden. Denn zum einen scheint es dringendere Fragen zu geben, beispielsweise nach der Sicherheit der Software, mit der am Wahltag die Stimmen aus den Wahlkreisen zum Bundeswahlleiter übermittelt werden sollen. Und zum anderen könnte die Panikmache dazu führen, dass Fake News ihrer bisherigen Bedeutungslosigkeit zum Trotz doch noch negative Auswirkungen haben. Nicht inhaltlich, sondern indirekt durch die Erschütterung unseres Vertrauens in die Verlässlichkeit der demokratischen Verfahren in unserem Land. Und dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.
Autoren: Katharina Schwarzkopf und Stephan Frühwirt
Ein ausgezeichneter Artikel! Inhaltlich wird er in allen Punkten durch die Ereignisse der vergangenen sechs Wochen bestätigt. Von einer Manipulation der US-Wahlen durch russische Quellen ist keine Rede mehr. Der deutsche Wahlkampf hatte kein Fake News-Problem. Problematisch bleibt allerdings das Zustandekommen der knappen Brexit-Entscheidung, die auf falschen Versprechungen und falschen Zahlen beruhte. Ein nicht unerheblicher Teil der Katalanen scheint nichts daraus gelernt zu haben. Doch der Einfluss von Fake News ist insgesamt gering und wir können relativ gelassen bleiben. In den vergangenen Monaten wurde diverse politische Gegenmaßnahmen eingeleitet. Der Ruf nach der Verantwortung der großen Internet-Unternehmen ebenso wie die des Staates wurde gehört. Das Problem Hate Speech müsste allerdings noch einmal gesondert betrachtet werden.
Starker Artikel, weil fundiert. Gerne mehr davon. So ließe sich etwa der Frage nachgehen, warum entgegen dieser Informationen das Thema ‚Fake News’ medial weiterhin eine so prominente Rolle spielt?