Nest­lé: Mit Scho­ko-Break zum Shit­s­torm-Break-Down2019-02-12T12:19:18+02:00

MO­DUL 3: Shit­s­torms ver­ste­hen

1. Case      2. In­sight     3. Deep Lec­tu­re

Von „Have a Break”
zum Break Down

Bild­aus­schnitt aus dem Vi­deo: green­peace — kit­kat (…). TheS­cat­te­rer, 17.03.2010, be­ar­bei­tet

Mit ei­nem blu­ti­gen Kit­kat-Vi­deo bläst Green­peace 2010 das Horn zu ei­nem Feld­zug ge­gen Nest­lé. Nach un­über­leg­ten Re­ak­tio­nen der So­ci­al Me­dia-Ver­ant­wort­li­chen schlie­ßen sich zahl­lo­se em­pör­te Ver­brau­cher in den so­zia­len On­line-Netz­wer­ken an und las­sen ei­nen der be­kann­tes­ten Shit­s­torms über den Kon­zern hin­weg­fe­gen.

von Anna-Lisa Menck und Ste­phan Früh­wirt

Kam­pa­gnen­start und Zen­sur­ver­such

Am Mor­gen des 17. März 2010 star­tet Green­peace eine breit an­ge­leg­te in­ter­na­tio­na­le Kam­pa­gne. Ihr Geg­ner: Nest­lé, ei­ner der welt­größ­ten Nah­rungs­mit­tel­kon­zer­ne. Für sei­ne Pro­duk­te wie den Scho­ko­rie­gel Kit­kat nutzt die­ser in­do­ne­si­sches Palm­öl aus il­le­ga­len Ur­wald­ro­dun­gen, die die dort le­ben­den Orang-Utans be­dro­hen.

Auf You­Tube geht dazu das fol­gen­de Vi­deo on­line:

Vi­deo: Green­peace, Quel­le

Das schmeckt dem Kon­zern na­tür­lich ge­nau­so we­nig wie den meis­ten Ver­brau­chern wohl blu­ti­ges Men­schen­af­fen­fin­ger-Kit­kat. Noch am sel­ben Abend ver­schwin­det das Vi­deo von der Platt­form, weil Nest­lé – an­geb­lich aus Co­py­right-Grün­den – des­sen Sper­rung ver­an­lasst hat.

Thank you, Nest­lé!”

1:0 für Nest­lé? Weit ge­fehlt! Der Ver­such der In­for­ma­ti­ons­kon­trol­le er­weist sich schnell als fol­gen­rei­ches Ei­gen­tor: Zahl­rei­che von der Zen­sur em­pör­te Nut­zer la­den das Vi­deo er­neut ins Netz und sor­gen da­für, dass ihm die Auf­merk­sam­keit zu­kommt, der Nest­lé durch die Sper­rung doch ge­ra­de vor­beu­gen woll­te.

Shit­s­tormaus­bruch und Pa­nik­wech­sel

Die tau­send­fa­chen Kom­men­ta­re, die dar­auf­hin vol­ler Scha­den­freu­de, Ent­täu­schung, Ver­är­ge­rung und Wut durch die Wei­ten der so­zia­len Me­di­en hal­len, brau­en sich in­ner­halb kür­zes­ter Zeit zu ei­nem Shit­s­torm zu­sam­men.

Klar ist also, das war die fal­sche Re­ak­ti­on. Als Kon­se­quenz folgt ein Pa­nik­wech­sel: Be­reits am 18. März, nur ei­nen Tag nach Kam­pa­gnen­start, ver­sucht sich Nest­lé in ei­ner neu­en Po­si­ti­on. Der Kon­zern gibt be­kannt, sei­ne Ver­trä­ge mit der be­son­ders um­strit­te­nen Pro­duk­ti­ons­fir­ma Si­nar Mas ge­kün­digt zu ha­ben – und spielt sich da­mit noch mehr ins Ab­seits. „Green­wa­shing!“, heißt der so­fort laut­stark ge­äu­ßer­te Vor­wurf. Denn das meis­te in­do­ne­si­sche Palm­öl be­zieht Nest­lé oh­ne­hin nicht di­rekt von Si­nar Mas, son­dern über Zwi­schen­händ­ler.

Aus­wei­tung und Ge­gen­an­griff

Für den Shit­s­torm das idea­le Kli­ma: Im­mer hö­her schla­gen nun die Wel­len in den So­ci­al Me­dia. Green­peace or­ga­ni­siert ei­nen Twit­ter-Feed und On­line-Pe­ti­tio­nen und ge­mein­sam mit ent­rüs­te­ten Ver­brau­chern ma­chen sich Ak­ti­vis­ten dar­an, die Face­book-Sei­ten von Ki­kat und Nest­lé zu en­tern.

Post: Nest­lé, Quel­le

An­statt auf die pro­vo­ka­ti­ven Fra­gen und For­de­run­gen der Nut­zer ein­zu­ge­hen und den Dia­log zu su­chen, be­gin­nen die So­ci­al Me­dia-Ver­ant­wort­li­chen, sie harsch zu­recht­zu­wei­sen – schließ­lich sei das ihre Sei­te, auf der sie die Re­geln be­stim­men. Oder sie dan­ken den Kom­men­ta­to­ren in iro­ni­schem Ton­fall für die Be­leh­run­gen, lö­schen Posts und dro­hen mit der Sper­rung von Usern, die ihre Pro­fil­bil­der ge­gen ein „Kil­ler-Logo“ im Stil des Kit­kat-Em­blems ge­tauscht ha­ben.

Vo­gel-Strauß-Tak­tik und Boy­kott-Auf­ru­fe

Mehr Was­ser auf die Müh­len der Geg­ner! Das steht Nest­lé auf Face­book schnell bis zum Hals. Als auch ein klein­lau­ter Ent­schul­di­gungs­ver­such kei­ne Ent­las­tung ver­spricht, ver­ord­nen die Ver­ant­wort­li­chen Kit­kat selbst die vom Pro­dukt be­wor­be­ne Pau­se: Kur­zer­hand neh­men sie die Sei­te kom­plett vom Netz. Doch auch die Vo­gel-Strauß-Tak­tik bringt ih­nen nur eine er­neu­te Auf­merk­sam­keits-Wel­le ein, die den Kon­zern nun voll­ends zu über­spü­len droht: Im­mer lau­ter wer­den Be­schimp­fun­gen und Boy­kott­auf­ru­fe – schon lan­ge geht es da­bei nicht mehr nur um das eine Pro­dukt, Kit­kat, son­dern um den ge­sam­ten Kon­zern.

Auf al­len Ka­nä­len

Und nicht nur on­line hält der Sturm der Ent­rüs­tung an. Off­line wird eben­falls mas­siv ge­gen Nest­lé pro­tes­tiert. Längst be­rich­ten auch die Mas­sen­me­di­en. Wie eng On­line- und Off­line-Pro­test ver­bun­den sind, macht Green­peace auch noch ein­mal sym­bo­lisch deut­lich: Vor der Fir­men­zen­tra­le des Le­bens­mit­tel­rie­sen in Frank­furt pro­ji­zie­ren Ak­ti­vis­ten die Twit­ter-Nach­rich­ten em­pör­ter Ver­brau­cher live auf eine Groß­lein­wand.

Foto: An­dré Vat­ter, Quel­le

Ka­pi­tu­la­ti­on und Sie­ges­fei­er

Am 17. Mai, zwei Mo­na­te nach Aus­bruch des Shit­s­torms, gibt sich Nest­lé ge­schla­gen: Der Kon­zern ver­spricht, künf­tig mit NGOs zu­sam­men­zu­ar­bei­ten und Roh­stof­fe nur noch aus nach­hal­ti­ger Pro­duk­ti­on zu be­zie­hen. Dazu le­gen die Ver­ant­wort­li­chen ei­nen de­tail­lier­ten Ak­ti­ons­plan zur Um­set­zung der neu­en stren­gen Stan­dards vor. Ein sü­ßer Er­folg für die Geg­ner, den die­se – in den So­ci­al Me­dia – aus­gie­big fei­ern, ein bit­te­rer Image­ver­lust für Nést­le.

Wei­ter zum In­sight