iTu­nes und Songs of In­no­cence – Eine schö­ne Be­sche­rung2019-02-12T11:53:29+02:00

MO­DUL 1: Kom­mu­ni­ka­ti­on on­line

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Eine schö­ne Be­sche­rung

von Si­mon Noack und Ste­phan Früh­wirt

Es war be­reits kurz vor Mit­ter­nacht. Das Herbst­laub der knor­ri­gen Ei­che vor dem Haus rausch­te. Harsch drück­te der Wind ge­gen die Schei­ben und ließ das dün­ne Glas der al­ten Dop­pel­kas­ten­fens­ter be­droh­lich kna­cken. Ich frös­tel­te. In mei­ner ge­lieb­ten, aber fast un­be­heiz­ba­ren Alt­bau­woh­nung war es schon den gan­zen Abend un­ge­müt­lich kühl ge­we­sen.

Um mich mit ei­ner hei­ßen Du­sche auf­zu­wär­men, taps­te ich müde Rich­tung Bade-
zim­mer. Durch das Flur­fens­ter mal­te der Schein ei­ner Stra­ßen­la­ter­ne eine Büh­ne an die Wand, auf der die Schat­ten der Zwei­ge skur­ri­le Tän­ze auf­führ­ten.

Ich tas­te­te nach dem Licht­schal­ter im Bad. Die En­er­gie­spar­lam­pe fla­cker­te trä­ge auf und ge­wann nur all­mäh­lich an Leucht­kraft. Im Halb­dun­kel leg­te ich mei­ne Klei­der ab, stell­te den iPod in der Sound-Do­cking­sta­ti­on auf Shuf­f­le und dreh­te die Laut­stär­ke hoch. Hei­ßes Was­ser, mei­ne Lieb­lings­bands und sonst wei­ter nichts. Ge­nau das brauch­te ich jetzt.

Es soll­te mir zum Ver­häng­nis wer­den.

Ich stand seit sechs Mi­nu­ten und vier­und­drei­ßig Se­kun­den un­ter der hei­ßen Du­sche – ge­nau die Län­ge der bei­den Songs, die ge­ra­de ab­ge­spielt wor­den wa­ren –, als es pas­sier­te. Mit eins­ham­poo­nier­tem Haar, nackt und ver­letz­lich konn­te ich dem An­griff nichts ent­ge­gen set­zen. Zu­erst er­tön­te ein ein­dring­li­ches Oo­hooo­hoooo­hooh, dann setz­ten E‑Gitarre, Bass und Syn­the­si­zer ein. Für ei­nen Mo­ment war ich wie ge­lähmt. Träum­te ich? War ich ver­rückt ge­wor­den? Dann stieg Pa­nik auf. Pitsch­nass riss ich den Dusch­vor­hang zu­rück und griff nach mei­nem iPod. U2! Songs of In­no­cence! Ein Al­bum, das ich noch nie ge­hört hat­te. Wie zum Teu­fel war es auf mei­nen iPod ge­langt?

In die­ser Nacht schlief ich kaum. Bo­nos Stim­me hall­te wie ein tau­send­fa­ches Echo durch mei­nen Kopf und mein gan­zer Kör­per zit­ter­te. Ich such­te nach Er­klä­run­gen und stell­te mir al­les Mög­li­che vor. Je­mand muss­te sich Zu­gang zu mei­ner Me­dia­thek ver­schafft ha­ben, muss­te dort ge­gen mei­nen Wil­len Mu­sik von U2 ge­spei­chert ha­ben. Die­ser je­mand war in mei­ne Pri­vat­sphä­re ein­ge­drun­gen, viel­leicht so­gar in mei­ne Woh­nung. Oder er hat­te sich in mei­nen Com­pu­ter ge­hackt. Erst im Mor­gen­grau­en schlief ich er­schöpft ein.

Am nächs­ten Tag setz­te ich mich un­mit­tel­bar nach dem Auf­ste­hen an den PC. Viel­leicht gab es im Netz eine Er­klä­rung? Was ich sah, war kaum zu glau­ben. Ich war nicht das ein­zi­ge Op­fer. Au­ßer mir hat­ten noch über 500 Mil­lio­nen wei­te­re Ap­ple-Nut­zer das neue U2-Al­bum er­hal­ten – als ver­meint­lich groß­zü­gi­ges Gra­tis­ge­schenk in Form ei­nes au­to­ma­ti­schen Down­loads. Doch die Zahl de­rer, die da­für dank­bar wa­ren, hielt sich of­fen­bar in Gren­zen.

Vor al­lem, weil es sich nicht so ein­fach ver­ste­cken ließ wie die un­ge­lieb­ten Woll­so­cken von Oma, die es je­des Jahr zu Weih­nach­ten gibt. Oder ein­fach um­tau­schen wie den drei Num­mern zu gro­ßen Pull­over, den Mut­ti „so fesch“ fand, dass sie ihn un­be­dingt mit­brin­gen muss­te. Dan­ke Ap­ple! Dan­ke U2! Jetzt hät­te ich ger­ne die 72MB Spei­cher­platz in mei­ner Me­dia­thek zu­rück – und nicht nur eine halb­her­zi­ge Ent­schul­di­gung von Bono.

Bild­aus­schnitt aus dem Vi­deo: U2 ans­we­ring ques­ti­ons sent by fans on Face­bookU2BR​.COM, 14.10.2014
Wei­ter zum In­sight