Wer nichts wa­get, der darf nichts hof­fen2019-02-12T12:18:02+02:00

MO­DUL 2: Iden­ti­tät ris­kie­ren

1. Case      2. In­sight    3. Deep Lec­tu­re

Wer nichts wa­get,
der darf nichts hof­fen
– Fried­rich Schil­ler

Selbst­dar­stel­lung in So­ci­al Me­dia läuft im­mer Ge­fahr, auf Wi­der­spruch, Ab­leh­nung und Kon­flikt zu tref­fen. Das kann auch mit der bes­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie pas­sie­ren. Über das Cor­po­ra­te Image ent­schei­det die Com­mu­ni­ty, nicht der So­ci­al-Me­dia-Ma­na­ger al­lein. Die wich­tigs­te In­ves­ti­ti­on in die­sen Ka­nal ist des­halb Mut.

von Si­mon Noack und Ste­phan Früh­wirt

Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter An­we­sen­den

Wer So­ci­al Me­dia nutzt, nimmt an In­ter­ak­ti­on teil. In­ter­ak­ti­on ist Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter An­we­sen­den. Da­bei kann An­we­sen­heit on­line na­tür­lich nicht die phy­si­sche Prä­senz der Be­tei­lig­ten und auch nicht de­ren syn­chro­ni­sier­te Auf­merk­sam­keit mei­nen. Da­mit Kom­mu­ni­ka­ti­ons­teil­neh­mer die Be­din­gung der An­we­sen­heit er­fül­len, ist es statt­des­sen not­wen­dig, dass sie ant­wor­ten kön­nen und da­durch für an­de­re sicht­bar wer­den. Das ist mit So­ci­al Me­dia trotz zeit­li­cher und räum­li­cher Dif­fe­ren­zen mög­lich. Denn als Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en er­lau­ben sie zeit­lich ver­setz­te An­schluss­kom­mu­ni­ka­ti­on von fast je­dem Ort der Welt aus.

Man lernt sich ken­nen

In So­ci­al Me­dia kön­nen sich die Be­tei­lig­ten also durch kon­ti­nu­ier­li­che An­we­sen­heit ein­brin­gen und als Per­so­nen sicht­bar wer­den. Jede Kom­mu­ni­ka­ti­on wird ei­nem Teil­neh­mer zu­ge­rech­net und sagt et­was über die­sen aus. Auf die­se Wei­se er­fah­ren die an­de­ren im Lau­fe der In­ter­ak­ti­on im­mer mehr über ihn, ler­nen sei­ne Mo­ti­ve und In­ter­es­sen ken­nen und kön­nen ihn zu­neh­mend bes­ser ein­schät­zen: Wel­che The­men in­ter­es­sie­ren ihn? Auf wel­che In­hal­te lässt er sich ein und auf wel­che eher nicht? Wor­auf re­agiert er emp­find­lich?

Black Bo­xes

Mit sol­chen Er­fah­run­gen wird eine grund­le­gen­de Un­si­cher­heit re­du­ziert, durch die jede Kom­mu­ni­ka­ti­on, ja jede so­zia­le Si­tua­ti­on über­haupt ge­kenn­zeich­net ist und die so­zio­lo­gisch auch als dop­pel­te Kon­tin­genz be­zeich­net wird: Per­so­nen han­deln „kon­tin­gent“, also so, dass es im­mer auch an­ders mög­lich wäre. Sie sind für­ein­an­der Black Bo­xes, de­ren Ver­hal­ten un­vor­her­seh­bar ist. Das er­zeugt Hemm­nis­se und Schwie­rig­kei­ten: Wer soll in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on ei­nen ers­ten Schritt wa­gen, wenn er nicht weiß, wie der an­de­re dar­auf re­agie­ren wird?

Sich ken­nen­ler­nen heißt Er­war­tun­gen bil­den

In die­ser zu­nächst sym­me­tri­schen Si­tua­ti­on wird je­des Ver­hal­ten zur Grund­la­ge der Ein­schät­zung ei­nes an­de­ren. Al­les, was die­ser tut, ist re­le­vant, wird als In­for­ma­ti­on über ihn ge­wer­tet, trägt zur Er­fah­rung mit ihm bei: Je­mand lädt ein Pro­fil­bild hoch, schreibt ei­nen Kom­men­tar oder be­wer­tet ei­nen Bei­trag po­si­tiv und gibt da­mit et­was über sich preis. So­fort wird er als ein Ge­gen­über sicht­bar und an die Stel­le der Un­si­cher­hei­ten tre­ten kon­kre­te Er­war­tun­gen. Per­so­nen kön­nen des­halb auch als “Er­war­tungs­ho­ri­zon­te” be­schrie­ben wer­den: Sie las­sen durch ihre bis­he­ri­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on auf ein be­stimm­tes zu­künf­ti­ges Ver­hal­ten schlie­ßen. Man kom­mu­ni­ziert so und nicht an­ders, wählt die­ses, aber nicht je­nes The­ma, könn­te vie­les tun, ent­schei­det sich aber so. Nach ei­ni­ger Zeit wis­sen die an­de­ren, mit wem sie es zu tun ha­ben und mit was sie rech­nen müs­sen oder kön­nen. Das kann zur Bil­dung von So­zi­al­ka­pi­tal füh­ren: Man­che kön­nen sich zu be­stimm­ten The­men als Ex­per­ten eta­blie­ren, als Au­to­ri­tä­ten, de­nen an­de­re Ver­trau­en und An­er­ken­nung schen­ken.

Un­ver­meid­ba­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ri­si­ken

Die­ser Pro­zess der Bil­dung von Er­war­tun­gen läuft je­doch für ge­wöhn­lich nicht rei­bungs­frei ab. Nicht al­les stößt bei an­de­ren auf Zu­stim­mung, be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen und Ent­schei­dun­gen wer­den strikt ab­ge­lehnt. An­de­re ken­nen­zu­ler­nen be­deu­tet im­mer auch, ih­nen Gren­zen zu set­zen und selbst wel­che zu ak­zep­tie­ren. Mit der Art, wie je­mand kom­mu­ni­ziert, prä­sen­tiert er sich an­de­ren, legt sich selbst fest, ohne je­doch da­bei wis­sen zu kön­nen, wie die­se dar­auf re­agie­ren wer­den. Das ist ris­kant, aber un­um­gäng­lich. Un­si­cher­heits­ab­sorp­ti­on ist ohne Er­zeu­gung von Kon­flikt­po­ten­zia­len nicht mög­lich.

All dies gilt in So­ci­al Me­dia auch für Or­ga­ni­sa­tio­nen. Auch sie wer­den als ein Ge­gen­über er­lebt, mit dem an­de­re Er­fah­run­gen ma­chen, die zu Er­war­tun­gen und mög­li­cher­wei­se auch zur Bil­dung von Ver­trau­en füh­ren kön­nen. Und auch sie er­zeu­gen Kon­flikt­po­ten­zia­le: Ak­zep­tie­ren die Ziel­grup­pen die ge­wähl­te Selbst­dar­stel­lung oder ist mit Ir­ri­ta­ti­on und Wi­der­spruch zu rech­nen? Eine gut aus­ge­ar­bei­te­te Cor­po­ra­te Iden­ti­ty hat noch lan­ge nicht das ent­spre­chen­de Cor­po­ra­te Image zur Fol­ge. Ne­ben #weil­wir­dich­lie­ben ha­ben ge­nau dies zahl­rei­che So­ci­al-Me­dia-Kam­pa­gnen schon häu­fig be­wie­sen.

#myNYPD

Post: NYPD­news, Quel­le

Im April 2014 rief das NYPD die Bür­ger New Yorks dazu auf, ge­mein­sa­me Fo­tos mit Po­li­zis­ten zu ver­öf­fent­li­chen. Un­ter dem Hash­tag #myNYPD soll­ten freund­li­che Grup­pen­bil­der ge­sam­melt wer­den, um das Image ei­ner bür­ger­na­hen Po­li­zei zu un­ter­stüt­zen.

Post: Ki­ma­ni­Film, Quel­le

Dem Auf­ruf wur­de zahl­reich Fol­ge ge­leis­tet. An­statt freund­li­cher Grup­pen­bil­der er­hielt das NYPD al­ler­dings eine Flut von Auf­nah­men ge­walt­tä­ti­ger Po­li­zis­ten – nicht un­be­dingt das, was sich die Ver­ant­wort­li­chen er­hofft hat­ten.

So wur­de aus dem Hash­tag ein so­ge­nann­tes „Bash­tag”. Ein ty­pi­scher Fall ent­täusch­ter Er­war­tun­gen.

Cat Con­tent: Kei­ne Dau­er­lö­sung

Es wäre ein Feh­ler, Ent­täu­schun­gen durch eine mög­lichst ge­fäl­li­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on vor­beu­gen zu wol­len. Aus­schließ­lich In­hal­te zu ver­öf­fent­li­chen, die the­ma­tisch so all­ge­mein wie nur ir­gend mög­lich ge­wählt sind, und da­mit auf Ak­zep­tanz bei den Nut­zern zu hof­fen, mag zwar das Ri­si­ko hef­ti­ger Kon­flik­te ver­rin­gern, doch las­sen sich mit Ge­mein­plät­zen auch kaum Uni­que Sel­ling Pro­po­si­ti­ons kom­mu­ni­zie­ren.

Cat Con­tent: All­seits be­liebt, je­doch kaum in der Lage, USP zu kom­mu­ni­zie­ren
Foto: Shanon, Quel­le, Li­zenz: CC0 Pu­blic Do­main

Be­stim­men und be­stim­men las­sen

Des­halb ist es für jene, die sich deut­lich po­si­tio­nie­ren wol­len, wich­tig, den Ge­dan­ken auf­zu­ge­ben, sie könn­ten Wi­der­sprü­che und Ab­leh­nung prin­zi­pi­ell ver­mei­den. In­ter­ak­ti­on in So­ci­al Me­dia lässt sich nicht nach in­di­vi­du­el­len Vor­stel­lun­gen be­stim­men. Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter An­we­sen­den ist ein Ge­mein­schafts­pro­jekt, bei dem sich je­der auch zu ei­nem gu­ten Teil be­stim­men las­sen muss. Auch Au­to­ri­tä­ten und Ex­per­ten brau­chen im­mer die An­er­ken­nung der an­de­ren. Ein gu­ter So­ci­al-Me­dia-Ma­na­ger weiß des­halb, dass er nur gut ist, wenn er kein So­ci­al-Me­dia-Ma­na­ger ist. Es ist nur all­zu nach­voll­zieh­bar, dass die­se Per­spek­ti­ve für Or­ga­ni­sa­tio­nen schwie­rig ist. Sie sind es ge­wohnt, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, nach de­nen ihre Mit­glie­der sich zu rich­ten ha­ben. Aber Fans auf Face­book und Fol­lo­wer auf Twit­ter sind kei­ne Mit­glie­der. Ih­nen auf Au­gen­hö­he zu be­geg­nen er­for­dert Mut – den Mut, die Ab­hän­gig­keit der Selbst­dar­stel­lung von der Fremd­wahr­neh­mung durch an­de­re nicht als Pro­blem, son­dern als Chan­ce zu er­le­ben.

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