MODUL 3: Shitstorms verstehen
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Von „Have a Break”
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Bildausschnitt aus dem Video: greenpeace — kitkat (…). TheScatterer, 17.03.2010, bearbeitet
Mit einem blutigen Kitkat-Video bläst Greenpeace 2010 das Horn zu einem Feldzug gegen Nestlé. Nach unüberlegten Reaktionen der Social Media-Verantwortlichen schließen sich zahllose empörte Verbraucher in den sozialen Online-Netzwerken an und lassen einen der bekanntesten Shitstorms über den Konzern hinwegfegen.
von Anna-Lisa Menck und Stephan Frühwirt
Kampagnenstart und Zensurversuch
Am Morgen des 17. März 2010 startet Greenpeace eine breit angelegte internationale Kampagne. Ihr Gegner: Nestlé, einer der weltgrößten Nahrungsmittelkonzerne. Für seine Produkte wie den Schokoriegel Kitkat nutzt dieser indonesisches Palmöl aus illegalen Urwaldrodungen, die die dort lebenden Orang-Utans bedrohen.
Auf YouTube geht dazu das folgende Video online:
Video: Greenpeace, Quelle
Das schmeckt dem Konzern natürlich genauso wenig wie den meisten Verbrauchern wohl blutiges Menschenaffenfinger-Kitkat. Noch am selben Abend verschwindet das Video von der Plattform, weil Nestlé – angeblich aus Copyright-Gründen – dessen Sperrung veranlasst hat.
„Thank you, Nestlé!”
1:0 für Nestlé? Weit gefehlt! Der Versuch der Informationskontrolle erweist sich schnell als folgenreiches Eigentor: Zahlreiche von der Zensur empörte Nutzer laden das Video erneut ins Netz und sorgen dafür, dass ihm die Aufmerksamkeit zukommt, der Nestlé durch die Sperrung doch gerade vorbeugen wollte.
Shitstormausbruch und Panikwechsel
Die tausendfachen Kommentare, die daraufhin voller Schadenfreude, Enttäuschung, Verärgerung und Wut durch die Weiten der sozialen Medien hallen, brauen sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Shitstorm zusammen.
Klar ist also, das war die falsche Reaktion. Als Konsequenz folgt ein Panikwechsel: Bereits am 18. März, nur einen Tag nach Kampagnenstart, versucht sich Nestlé in einer neuen Position. Der Konzern gibt bekannt, seine Verträge mit der besonders umstrittenen Produktionsfirma Sinar Mas gekündigt zu haben – und spielt sich damit noch mehr ins Abseits. „Greenwashing!“, heißt der sofort lautstark geäußerte Vorwurf. Denn das meiste indonesische Palmöl bezieht Nestlé ohnehin nicht direkt von Sinar Mas, sondern über Zwischenhändler.
Ausweitung und Gegenangriff
Für den Shitstorm das ideale Klima: Immer höher schlagen nun die Wellen in den Social Media. Greenpeace organisiert einen Twitter-Feed und Online-Petitionen und gemeinsam mit entrüsteten Verbrauchern machen sich Aktivisten daran, die Facebook-Seiten von Kikat und Nestlé zu entern.
Post: Nestlé, Quelle
Anstatt auf die provokativen Fragen und Forderungen der Nutzer einzugehen und den Dialog zu suchen, beginnen die Social Media-Verantwortlichen, sie harsch zurechtzuweisen – schließlich sei das ihre Seite, auf der sie die Regeln bestimmen. Oder sie danken den Kommentatoren in ironischem Tonfall für die Belehrungen, löschen Posts und drohen mit der Sperrung von Usern, die ihre Profilbilder gegen ein „Killer-Logo“ im Stil des Kitkat-Emblems getauscht haben.
Vogel-Strauß-Taktik und Boykott-Aufrufe
Mehr Wasser auf die Mühlen der Gegner! Das steht Nestlé auf Facebook schnell bis zum Hals. Als auch ein kleinlauter Entschuldigungsversuch keine Entlastung verspricht, verordnen die Verantwortlichen Kitkat selbst die vom Produkt beworbene Pause: Kurzerhand nehmen sie die Seite komplett vom Netz. Doch auch die Vogel-Strauß-Taktik bringt ihnen nur eine erneute Aufmerksamkeits-Welle ein, die den Konzern nun vollends zu überspülen droht: Immer lauter werden Beschimpfungen und Boykottaufrufe – schon lange geht es dabei nicht mehr nur um das eine Produkt, Kitkat, sondern um den gesamten Konzern.
Auf allen Kanälen
Und nicht nur online hält der Sturm der Entrüstung an. Offline wird ebenfalls massiv gegen Nestlé protestiert. Längst berichten auch die Massenmedien. Wie eng Online- und Offline-Protest verbunden sind, macht Greenpeace auch noch einmal symbolisch deutlich: Vor der Firmenzentrale des Lebensmittelriesen in Frankfurt projizieren Aktivisten die Twitter-Nachrichten empörter Verbraucher live auf eine Großleinwand.
Foto: André Vatter, Quelle
Kapitulation und Siegesfeier
Am 17. Mai, zwei Monate nach Ausbruch des Shitstorms, gibt sich Nestlé geschlagen: Der Konzern verspricht, künftig mit NGOs zusammenzuarbeiten und Rohstoffe nur noch aus nachhaltiger Produktion zu beziehen. Dazu legen die Verantwortlichen einen detaillierten Aktionsplan zur Umsetzung der neuen strengen Standards vor. Ein süßer Erfolg für die Gegner, den diese – in den Social Media – ausgiebig feiern, ein bitterer Imageverlust für Néstle.